Gefangen (Diamond Soul)


Leseprobe

(Achtung: unkorrigierte Leseprobe)

Prolog
Michael

Was mache ich hier eigentlich?

Ich muss völlig verrückt sein, mich wirklich auf diesen Mist einlassen zu wollen.

Ich sollte gehen.

Jetzt. Sofort!

Aufstehen, einen Fuß vor den anderen setzen, und das Haus und diese ganze verrückte Veranstaltung hinter mir lassen.

Ich könnte es jederzeit tun, denn ich bin kein Gefangener.

Das ist keiner von den vier Männern, die heute mit mir hier sind. Das steht auch explizit in unseren Verträgen. Wir müssen nur die Armbänder mit den Pseudonymen, die man uns für die heutige Nacht verpasst hat, um unsere Anonymität zu wahren, vom Handgelenk ziehen, auf den Tisch vor uns legen und das war es. Niemand würde uns aufhalten. Weder die zwei bulligen Aufpasser an der Tür, die dafür sorgen sollen, dass keiner von uns irgendwie zu Schaden kommt oder gegen seinen Willen in diesem Raum bleibt, noch der Veranstalter dieser Auktion.

So nennen sie es.

Eine Auktion.

Männer kaufen Männer für unverbindlichen Sex.

Entweder für das angesetzte Mindestgebot oder auch mehr, denn nach oben hin sind den Bietern keine Grenzen gesetzt, nur unter dem Mindestgebot geht nicht.

Bei mir liegt die Schwelle bei 150.000 Dollar.

Aufgerundet, weil das besser klingt. Mir war es egal. Ich bin nur hier, um endlich meine restlichen Schulden loszuwerden, weil ich es sonst nie schaffe, wieder auf die Beine zu kommen, und da kein normaler Kerl bereit ist, für ein bisschen Sex so viel Geld auf den Tisch zu legen, hat Mister Dane McGraw, so heißt der Mann, der das alles hier veranstaltet, meine homosexuelle Jungfräulichkeit ins Spiel gebracht, denn für einen unberührten Hetero zahlen reiche Schwule offenbar jederzeit und ohne mit der Wimper zu zucken ein Vermögen.

Da geht es ums Ego, ums Angeben, einfach darum, morgen früh sagen zu können, ich habe die Hete geknackt und ihm eine grandiose Nacht mit mir beschert.

Das ist auf den Auktionen, die hier regelmäßig stattfinden, die wichtigste Bedingung, an die sich jeder Bieter zu halten hat. Egal welcher Mann sich verkauft, egal warum, egal für wie viel, er bekommt eine Nacht, die er nicht vergessen wird.

Mit Orgasmusgarantie sozusagen.

Ich kann mir im Moment nicht einmal vorstellen, überhaupt einen hochzukriegen, geschweige denn in dieser Nacht wirklich zum Höhepunkt zu kommen.

Es ist nicht mal so, dass ich mich davor ekeln würde, einen Mann zu küssen oder anzufassen, das habe ich sogar schon mal gemacht. Allerdings war ich damals noch auf dem College und in dieser Nacht stockbesoffen, also zählt das in meinen Augen nicht sonderlich viel.

Außerdem ist es ja wohl ein gewaltiger Unterschied, ob man aus Neugier einen Kumpel küsst und dabei ein bisschen an ihm rumspielt, oder ob man sich auszieht und seinen eigenen Arsch hinhält, denn nichts weniger steht in dem Vertrag, den ich mit zitternder Hand unterschrieben habe. Und auch wenn dort alles in einem äußerst geschäftlichen Tonfall verfasst ist, was es wohl leichter machen soll – geholfen hat es mir nicht.


Küsse sind erwünscht, aber kein Muss.
Blowjob und Rimming sind erwünscht, aber kein Muss.
Ein Handjob ist erwünscht, aber kein Muss.
Eine ausreichende Vorbereitung auf den eigentlich Akt, sowie das Benutzen von Gleitgel und Kondomen sind ein Muss.
Geschlechtsverkehr ist ein Muss.
Anschließende Wiederholungen stehen den Vertragsparteien frei, bis der Sonnenaufgang die Nacht beendet.


Wobei ich jederzeit mein Vetorecht nutzen und gehen kann.

Diese sehr wichtige Klausel gilt für die ganze Nacht, mit der Einschränkung, dass ich nur bezahlt werde, wenn ich meinen Teil des Vertrages erfülle. Und sollte mein Bieter das nicht tun, steht mir eine finanzielle Entschädigung in der Höhe meines Mindestgebots zu, ganz gleich, für welche Gesamtsumme ich gleich versteigert werde.

Ich werde heute Nacht Sex mit einem Mann haben.

Etwas, das ich nie in Betracht gezogen hätte, bis Danny Fox, ein früherer Arbeitskollege, vor einigen Wochen unerwartet vor meiner Tür stand und mir bei einem Kaffee die perfekte Lösung für mein Geldproblem anbot.

Diskret, anonym, gut bezahlt.

Ich hielt es für eine gute Lösung. Selbst dann noch, als er ins Detail ging und mir klar wurde, was Danny mit »gut bezahlt« in Wirklichkeit meinte. Ich griff zu, als er mir eine Visitenkarte von Dane McGraw anbot, auch wenn ich hinterher eine ganze Woche brauchte, um den einen Anruf zu machen, der für mich ein weiteres Mal alles verändern könnte.

Wenn ich durchhalte.

Mein Gott, wie konnte es nur so weit kommen?

Ich meine, ich war mal so erfolgreich. Ich war stinkreich. Na ja, nicht wirklich, aber für mich fühlte es sich damals so an. Wer in ärmlichen Verhältnissen groß wird, der weiß Geld immer zu schätzen. Daran habe ich selbst dann noch geglaubt, als es mir bereits seit Monaten wie Sand durch die Finger glitt.

Würde mich jemand nach dem Grund fragen, ich könnte es nicht erklären.

Ich weiß nicht, wieso ich anfing zu spielen. Zu wetten. Hier ein paar Dollar, da ein paar Dollar. Ich gewann und verlor. Ich setzte weniger, dann wieder mehr. Hörte für eine Weile auf und fing dann doch wieder an. Gewann mehrere Male, setzte Geld ein, das ich nicht hatte, um es zu verlieren. Und trotzdem war ich unfähig, mit dem Spielen aufzuhören. Irgendwann stolperte ich im Internet über Onlinecasinos. Ganz bequem von zu Hause aus. Einfach in meinem Arbeitszimmer am Schreibtisch sitzen und spielen – es war wie die Erfüllung eines Traums.

Doch es wurde zu einem Albtraum, als ich aufhörte, offene Kreditraten zu begleichen und die Bank uns schlussendlich ein unmissverständliches Schreiben schickte, das ich leider Gottes nicht rechtzeitig abfangen konnte, wie die anderen Briefe zuvor, und das meiner Ehefrau Amanda, die all die Jahre mir unsere Finanzen anvertraut hatte, klar machte, was los war.

Da war es allerdings längst zu spät.

Ich hatte jahrelang alles verzockt, auf Pump gelebt, mir Geld geliehen, heimlich einen dritten Kredit aufgenommen, und am Ende sogar meinen Boss beklaut. Der einzige Grund, warum ich dafür nicht ins Gefängnis wanderte, war, da ich als einer seiner besten Börsenmakler genau wusste, wie lange er schon Geld am Finanzamt vorbei ins Ausland verschob, und bereit war, für die Staatsanwaltschaft als Zeuge zu fungieren.

Vor dem Gefängnis hat mich das bewahrt.

Vor dem Verlust meines bisherigen Lebens, meiner Ehe und meinen Kindern allerdings nicht.

Amanda konnte mich gar nicht schnell genug verlassen, die Scheidung einreichen und mich auf Unterhalt verklagen – was ich ihr schlecht übel nehmen konnte, schließlich hatte ich durch meine Spielsucht unsere Familie ruiniert –, und ich habe nichts dagegen unternommen, um unserer Töchter willen. Sarah und Megan – die beide viel zu jung waren, um zu begreifen, wieso ihr »Daddy« nicht mehr bei ihnen leben kann und wieso sie aus ihrem schönen Haus aus- und weit weg, zurück aufs Land, auf die Farm ihrer Großeltern, ziehen müssen.

Sie haben es dort gut. Wenigstens das weiß ich, denn auch wenn Amanda die Scheidung wollte, schickt sie mir regelmäßig Bilder und Briefe, damit ich wenigstens aus der Ferne noch am Leben unserer Kinder teilhaben kann, denn als meine Sucht vor dem Familiengericht zur Sprache kam, war der für unseren Fall zuständige  Richter umgehend auf ihrer Seite und hat mir jeden Umgang verboten, solange es mir nicht gelingt, mein Leben in geordnete Bahnen zu lenken und angemessen für meine Frau und meine Töchter zu sorgen.

Tja, nur wie sollte ich das tun, ohne ausreichend Geld?

Wie sollte ich einen Berg Schulden begleichen und noch mal neu anfangen, wenn ich die paar Dollar, die ich heute mit dem Schleppen und Auspacken von Lebensmitteln verdiene, für die Miete, das alltägliche Leben und ein bisschen Unterhalt für die Mädchen aufbrauche?

Das einzig Gute an dem ganzen Chaos war und ist, dass ich nicht mehr spiele, denn damit war ich durch, nachdem ich alles verloren hatte.

Wenn man vor der Wahl steht, die Miete zu zahlen oder im Winter unter einer Brücke zu schlafen – was soll ich sagen? Ich wollte nicht erfrieren, deshalb habe ich mich für die Miete und meinen mies bezahlten Job als Auspacker, sowie eine dringend nötige Suchttherapie entschieden, die der Richter mir bei der Scheidung zur Auflage gemacht hat, falls ich jemals die Chance auf ein Wiedersehen mit meinen Töchtern haben will.

Ich habe mein Leben in einigermaßen geordnete Bahnen gelenkt, und doch bin ich so verzweifelt wie zuvor, denn es ist nicht genug und das wird es auch nie sein. Ich komme gerade über die Runden und bin weit davon entfernt, angemessen für meine Töchter sorgen zu können.

Obwohl ich alles richtig gemacht habe, fühle ich mich weiter wie der Versager, der ich durch meine Sucht geworden bin, und ein Versager wird es ja wohl hinkriegen, sich nackig zu machen und zu tun, was Millionen Menschen auf der ganzen Welt jeden Tag tun, manche freiwillig, viele unfreiwillig.

Wenigstens werde ich vernünftig dafür bezahlt.

Auch wenn ich meinen Töchtern hinterher wohl nie wieder ins Gesicht sehen kann. Egal. Sie sollen es gut haben und dafür wird die heutige Nacht sorgen. Wenn ich es nachher schaffe, zu tun, was Dane mir vorgeschlagen hat – »Ein zaghaftes Lächeln in deinem hübschen Gesicht bringt dir mehr Geld, als die pure Verzweiflung, die dich in mein Haus getrieben hat.« –, bin ich in vierundzwanzig Stunden schuldenfrei und kann noch einmal ganz von vorne anfangen.

Eine neue Stadt.

Ein neuer Name – denn mit meinem alten werde ich in der Finanzbranche nie mehr einen gut bezahlten Job finden.

Ein vollkommen neues Leben – für mich.

Und auch für meine süßen Mädchen – damit sie eines Tages vielleicht stolz auf ihren Vater sind.

Sofern sie niemals erfahren, was ich gleich tun werde.

Ich bin Michael Nathaniel Summers und ich verkaufe heute Nacht meinen Körper.


Kapitel 1
Michael

Eine Woche zuvor

Dane McGraw, Immobilienmakler.

Wie sich ein Immobilienmakler ein imposantes Herrenhaus als Wohnsitz leisten kann, ist mir ein Rätsel, aber eigentlich will ich es gar nicht so genau wissen.

Falls Danny recht hat, was die kleinen – wahrscheinlich eher großen – Nebeneinkünfte mit den Sex-Auktionen angeht, wird Dane McGraw sich vom jeweiligen Gewinn garantiert ein paar Prozente abzweigen und daher kein Problem damit haben, den Unterhalt für so ein Haus aus der Portokasse zu bezahlen. Noch dazu sind wir in Boston, wenn auch etwas außerhalb, und wer hier draußen lebt, der hat im Allgemeinen eine Menge Geld auf dem Konto. Ob geerbt, selbst erarbeitet oder durch zwielichtige Geschäfte angehäuft, sei jetzt mal dahingestellt.

Es ist auch unwichtig.

Wichtig ist nur, dass Dane McGraw mich heute hergebeten hat, um über die nächste Auktion zu sprechen.

Ob ich dafür infrage komme.

Ob ich dazu bereit bin – kann man das jemals sein?

Ob ich willens bin, die Vertragsbedingungen zu erfüllen?

Noch kenne ich sie nicht, aber noch habe ich auch nicht das Haus betreten. Ich bin bislang nicht mal durchs Tor gekommen, weil ich Schiss habe und es nicht schaffe, meinen Finger auf die Klingel der Gegensprechanlage zu legen. Über dem Tor hängen Kameras und McGraw wird vermutlich längst wissen, dass ich hier herumlungere.

Ich sollte einfach umdrehen und wieder gehen.

Wie komme ich bloß auf den Gedanken, dass ich es schaffen könnte, mich für Geld zu verkaufen? An einen Mann. Obwohl das im Grunde egal ist, denn selbst wenn es eine Frau wäre, ich hätte die gleichen Skrupel. Sex gegen Geld. Vielleicht wäre das Ganze leichter für mich, hätte ich mehr Ahnung davon. Womit nicht mal die Tatsache gemeint ist, dass es um homosexuellen Sex geht. Natürlich hatten Amanda und ich Sex, sonst wäre ich kein stolzer Vater zweier Mädchen, aber ich kann nicht gerade behaupten, dass er jemals sonderlich viel Spaß gemacht hätte. Er war eben notwendig, wegen der Kinder, doch ich kann mich nicht erinnern, Einspruch erhoben zu haben, als Amanda noch während ihrer Schwangerschaft mit Sarah auf einmal getrennte Schlafzimmer vorschlug.

Wir hatten eine ruhige Ehe, ein gutes Verhältnis zueinander und wir lieben Sarah und Megan über alles. Aber Leidenschaft oder richtige Lust hat es bei uns nie gegeben.

Vielleicht haben wir einfach zu früh geheiratet. Direkt nach dem College. Das machte man damals nun mal so und Amanda hat meinen Antrag, den ich ihr auf Drängen meiner mittlerweile verstorbenen Eltern gemacht habe, sofort angenommen. Wobei sie in der Hinsicht immer ehrlich zu mir war, denn durch mich bekam sie die Chance, dem Landleben zu entkommen und sich in Boston ein Leben als glückliche Ehefrau eines erfolgreichen Börsenmaklers aufzubauen, denn durch mein Faible für Geld, stand für mich und meine Eltern sehr früh fest, das ich beruflich in diese Richtung tendieren werde.

Sie waren so stolz auf mich.

Aber sie wären entsetzt, könnten sie mich heute sehen.

Ich kann das nicht.

Nicht einmal für die Aussicht, hinterher ein schuldenfreies Leben zu beginnen. Ich reibe mir die Augen und machte abrupt kehrt. Die Bushaltestelle ist nicht weit von hier und ich muss nachher arbeiten. Nachtschicht. Ein Scheißjob und mies bezahlt, aber wenigstens ist es ehrliche Arbeit und ich weiß, woran ich bin, wenn mein Boss seine schlechte Laune wieder an mir und meinen Kollegen auslässt. Er ist ein Choleriker, wie er im Buche steht, der mir trotz allem eine Chance und einen Job gab, als ich beides brauchte.

»Michael Summers?«, höre ich auf einmal eine raue Stimme und drehe mich abrupt wieder um. Ein muskulöser Riese steht hinter dem mannshohen, schmiedeeisernen Tor und für mich völlig unbedarften Kerl sieht mein Gegenüber aus, wie einem Gangsterfilm entsprungen. Er trägt Glatze, hat zwei Tattoos im Gesicht und eine lange Narbe von seiner Stirn hinunter bis zum Ohr. Mein Gott. Er deutet meinen schockierten Blick richtig und tippt sich einmal gegen die Narbe.

»Sieht schlimmer aus, als es ist. War ein Überfall. Ein Junkie dachte, bei mir wäre was zu holen. Ich habe ihn eines Besseren belehrt. Allerdings war er schnell mit dem Messer.«

»Ist er tot?«, frage ich automatisch, denn so wie dieser Mann da steht und seinen Anzug ausfüllt, wächst garantiert kein Gras mehr an Stellen, auf die er, aus welchen Gründen auch immer, bestimmt regelmäßig draufhaut.

Mein Gegenüber lacht heiter. »Nein. Ich habe ihm nur eine Tracht Prügel dafür verpasst, dass er mir das Gesicht zweiteilen wollte. Er sitzt im Knast, nachdem er im Krankenhaus auf einen Arzt losgegangen ist und ihn niedergestochen hat.«

Himmel, in was für einer Welt lebt dieser Mann? »Ist er tot? Der Arzt, meine ich.«

»Nein, keine Sorge. Er arbeitet wieder.« Der Mann sieht zur Kamera und nickt, worauf ein Klicken zu hören ist, ehe das Tor sich langsam zu öffnen beginnt. »Mister McGraw wollte nicht länger warten, ob und wann Sie sich zum Gehen oder Bleiben entschließen. Kaffee? Tee? Ein Wasser?«

»Äh ...«

Ich bin dezent überfordert, doch ich schätze, ich wurde eben höflich, aber gleichzeitig auch entschlossen dazu aufgefordert, das Gespräch wahrzunehmen, zu dem ich von McGraw direkt am Telefon eingeladen wurde.

Aber wollte ich nicht eigentlich gerade gehen?

»Vielleicht wäre ein Whisky angemessener. Mister McGraw hat eine sehr exquisite Auswahl, die ich nur empfehlen kann«, wird mir vorgeschlagen, und obwohl ich nicht vorhabe, mich in diesem Haus zu betrinken, treffen meine Beine auf einmal die Entscheidung, dem Unbekannten auf das mit Sicherheit riesige Grundstück zu folgen. Dass sich das Tor hinter uns schließt, lässt mich schaudern, auch wenn ich irgendwie nicht glaube, in fünf Minuten in einer Zelle zu landen, um dort für immer in die Sklaverei verkauft zu werden.

Ich sollte aufhören, mir miese Filme anzusehen, wozu ich in den letzten Jahren eindeutig zu viel Zeit hatte. Früher habe ich jeden Tag lange gearbeitet und oft auch noch zu Hause im Büro am Computer gesessen und die Kurse im Auge behalten. Wenn man mit sechs- bis achtstelligen Beträgen jongliert, hat man das Geld eigentlich ständig im Auge und Schlaf wird sowieso völlig überbewertet.

Das war übrigens der Lieblingsspruch des Mannes, der mal mein Boss war und den ich mit meiner Aussage ins Gefängnis gebracht habe. Ich schätze, er wird darüber not amused gewesen sein. Gehört habe ich in dieser Hinsicht allerdings nichts, da der Staatsanwalt mich völlig von ihm und den Kollegen abschirmte, bis der Prozess durch war.

Ich habe allerdings auch nicht danach gefragt, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, meinem Leben nachzuheulen. Es ist nämlich eine gewaltige Umstellung, von einem großen Haus mit sieben Zimmern und vier Bädern in ein kleines Apartment umzuziehen. Ein Auto habe ich auch nicht mehr, weil ich es mir schlicht nicht leisten kann, und nach dem damaligen Verkauf aller Vermögensgegenstände war zumindest der Großteil von meiner Spielschulden ausgeglichen.

Wobei man von »Großteil« kaum sprechen kann, immerhin sind noch 150.000 Dollar übrig, aber wenn ich mir hier und jetzt zwei Eier wachsen lasse und genug Mut finde, um diesen Plan mit der Auktion durchzuziehen, dann …

»Haben Sie Hunger?«

»Nein.« Als ob ich in dieser Situation etwas essen könnte.

Der Mann sieht über die Schulter zu mir. »Sie schaffen das.«

Ich verkneife mir ein Schnauben, denn woher will der Kerl das bitte wissen? Er kennt mich nicht. Ich kenne ihn allerdings auch nicht und vielleicht war er mal an meiner Stelle. Vielleicht weiß er genau, wie schwer mir jeder Schritt fällt, weil er diesen Weg selbst gegangen ist.

»Haben Sie auch …?« Ich kann es nicht mal aussprechen, du meine Güte. Ich bin so ein erbärmlicher Feigling.

Der Mann versteht mich trotzdem und schüttelt den Kopf, ehe er nach vorn sieht. »An einer Auktion teilgenommen? Nein. Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, als ich erfuhr, dass es diese Möglichkeit gibt, aber Mister McGraw bot mir stattdessen einen Job an, mit dem mir ein Neustart gelang.«

»Waren Sie …?«

Himmel, darf ich das überhaupt fragen? Ich meine, nur weil der Mann Tattoos im Gesicht hat und auf mich wie ein Schläger wirkt, heißt das nicht automatisch, dass er im Gefängnis war. Er versteht mich auch dieses Mal, ohne dass ich die Frage in Worte fassen muss.

»Drei Jahre. Körperverletzung. Wobei ich dazu sagen sollte, dass es Notwehr war. Ich wollte nicht vergewaltigt werden. Nur fand der Staatsanwalt es übertrieben, dass ich den Täter viermal mit dem Kopf auf eine Steintreppe geschlagen habe.«

»Mein Gott«, flüstere ich schockiert und frage mich einmal mehr, in welche Welt ich hier gerade eintrete. Trotzdem. Er hat sich nur gegen einen Übergriff verteidigt. Ich habe Töchter. Die Vorstellung, dass man ihnen so etwas antut – nein, darüber will und werde ich nicht weiter nachdenken. Sarah und Megan sind in Sicherheit.

»Sie haben mir noch nicht geantwortet.«

»Was?«, frage ich irritiert, weil ich in Gedanken immer noch bei meinen Töchtern bin – von denen ich nicht mal sagen kann, ob sie mich nach all der Zeit noch erkennen würden oder ob sie mich vermissen – und keine Ahnung habe, was der Mann von mir wissen will. Es ist mittlerweile drei Jahre her, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe und damals waren sie gerade erst fünf und sieben Jahre alt.

In dem Alter sind drei Jahre ohne Vater eine Ewigkeit, und manchmal habe ich mich insgeheim bereits gefragt, ob es nicht sogar das Beste wäre, mich auf Dauer von ihnen fernzuhalten. Amanda hat einen neuen Mann kennengelernt, den sie wirklich gern hat, das stand in ihrem letzten Brief, und vielleicht ist der bereit, meinen Mädchen ein guter Vater zu sein, denn ich war es nicht. Aber sie nie wiederzusehen, diese Vorstellung tut so weh, dass ich daran zweifle, es auszuhalten. Selbst wenn ein Richter mir verbietet, in der Zukunft wieder Kontakt aufzunehmen, ich glaube, ich würde es trotzdem tun.

Aber das sind Dinge, über die kann ich nachdenken, sobald ich den Punkt erreicht habe, dass ich mich selbst wieder als der Vater ansehe, den sie verdienen, und das wird wohl niemals der Fall sein, wenn ich bei dieser Aktion mitmache. Andererseits ist sie meine Chance, vielleicht die einzige, neu anzufangen, denn wenn ich schon nicht der Vater sein kann, den meine Töchter verdienen, will ich wenigstens der Vater sein, der ihnen hilft, in der Zukunft ihre Träume zu leben. Und ein gutes College oder eine Universität zu besuchen, kostet nun mal Geld. Viel Geld.

Mich eine Nacht zu verkaufen, ist dagegen ein Kinderspiel.

Und wenn ich mir das nur oft genug selbst sage, werde ich es hoffentlich eines Tages auch glauben.

»Kaffee? Tee? Ein Wasser?«, wiederholt mein Führer, als wir schließlich das Haus erreichen, und hält mir hinterher höflich die Tür auf.

Ich betrete einen riesigen Eingangsbereich, wie ich sie sonst nur aus dem Fernsehen kenne. Eine breite Treppe führt in das erste von gleich zwei Stockwerken, wenn man den Dachboden nicht dazu zählt, ein paar Schritte vor uns steht ein Holztisch, auf dem in einer bauchigen Vase alle möglichen Blumen schick arrangiert sind, links steht eine große Kommode vor der Wand und rechts führt eine zweiflüglige Tür in einen Raum, die im Augenblick verschlossen ist. »Dort befindet sich der Salon, den Mister McGraw für Geschäftsbesprechungen nutzt. Allerdings nicht für Gespräche wie jenes, das Sie führen werden. Und jetzt … Möchten Sie einen Kaffee, Mister Summers?«

Ach ja, da war ja noch was.

»Ein Wasser genügt, vielen Dank«, finde ich endlich meine Stimme und meine Manieren wieder, und mein Gegenüber lässt mich freundlich lächelnd stehen und verschwindet durch einen offenen Rundbogen vor der Treppe in einem weiteren Raum.

Ich weiß nicht, was ich tun soll, also warte ich hier und sehe mich dabei weiter um, was verdammt einschüchternd ist, denn ich habe mich selbst für reich gehalten, während Dane McGraw es wirklich ist. Keines der Möbelstücke, die ich sehen kann, ist billig oder von der Stange, und ich will lieber gar nicht wissen, ob der Teppich an der Wand zu meiner Rechten nur so aussieht oder wirklich ein handgeknüpfter Perserteppich ist.

Amanda verstand mehr von diesen Dingen, obwohl wir uns dermaßen teuren Einrichtungsstücke nicht leisten konnten. Ich habe sehr gut verdient, aber so gut nun auch wieder nicht, dass es für diesen Teppich oder den Spiegel mit Goldrahmen – der in meinen Augen wie ein perfekt erhaltenes Stück aus der frühen Barrockzeit aussieht – über der Kommode gereicht hätte.

»Nichts davon ist echt.«

Ich zucke zusammen und sehe hastig die Treppe nach oben, wo jetzt ein Mann in meinem Alter steht, der schmunzelt, ehe er sich in Bewegung setzt und langsam zu mir nach unten kommt. Dabei deutet er auf den Spiegel über der Kommode.

»Verflucht teure Nachbildungen. Sehr chic und sehr elegant. Mein ehemaliger Innendesigner war der Meinung, ich sollte bei meinen gut betuchten Geschäftspartnern einen guten Eindruck hinterlassen. Ich hingegen meine, der Mann hatte absolut keine Ahnung von seinem Job.«

Sofern dieser maßgeschneiderte Anzug, den Dane McGraw trägt, von Hugo Boss ist – wobei ich mir dessen sicher bin, denn in diesem Bereich kenne ich mich aus –, stellt sich mir doch die Frage, warum er sich erstens Nachbildungen in sein Haus stellt, die ihm zweitens nicht einmal zu gefallen scheinen. Das wäre Amanda nicht im Traum eingefallen.

»Warum kaufen Sie sich keine anderen Möbel, wenn Ihnen die nicht gefallen?«

»Weil ich leider noch viel weniger Ahnung von Einrichtung habe, als mein Innendesigner, und Craig einfach nicht auf mich hört, wenn ich ihm befehle, den Müll rauszuwerfen.«

»Ich bin hier nicht als Möbelpacker angestellt«, schallt es im nächsten Augenblick aus dem Zimmer zu meiner Linken und damit wäre geklärt, von wem McGraw gesprochen hat.

»Nein, aber du bist bei mir angestellt, also hast du gefälligst auf mich zu hören.«

Was ich als nächstes höre, ist Gelächter, bis Craig – ich hätte draußen wenigstens nach seinem Namen fragen sollen – zu uns stößt und mir eine Flasche gekühltes Wasser reicht. Der Deckel ist ab und um die Flasche liegt eine blütenweiße Stoffserviette, die mit Sicherheit mehr gekostet hat als mein Mantel. Ach, du meine Güte.

»Danke«, sage ich nervös und nehme die Flasche.

Craig nickt und wendet sich anschließend McGraw zu. »Ich werde mich jetzt um die Einkäufe kümmern. Brauchst du sonst noch etwas?«

»Nein. Michael und ich werden nach oben gehen und uns in meinem Arbeitszimmer unterhalten. Du kennst das Prozedere. Ich melde mich, sobald du ihn nach Hause fahren kannst.«

»Äh, die Bushaltestelle ...« Der konsternierte Blick, der mich von zwei Seiten trifft, lässt mich wieder verstummen. »Danke«, sage ich stattdessen und damit sind die Männer zufrieden.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber wo, zum Teufel, bin ich hier bloß gelandet?

Auf jeden Fall in einem Haushalt, in dem Geld keine Rolle zu spielen scheint, denn man hat es offenbar in rauen Mengen. Was auch immer Dane McGraw beruflich treibt, dieses Haus ist mit Immobiliengeschäften nicht zu finanzieren, jedenfalls nicht ausschließlich. Vielleicht hat er ein Edelbordell im Keller. Oder er unterhält es in der Stadt. Wahrscheinlich nicht nur eines, was diese Auktion erklärt, für die er mich in Betracht zieht. Obwohl, er hat mir noch nicht abschließend gesagt, ob ich wirklich dafür infrage komme, denn dafür wollte er mich kennenlernen.

Und so wie sein Blick über mich wandert, nachdem er mich in einen mit dunklem Holz vertäfelten Wänden geführt hat, bin ich mir nicht sicher, ob ich mich als Sex-Angebot, oder wie auch immer man das nennt, überhaupt eigne.

»Falle ich gerade durch?«, traue ich mich zu fragen, denn er nimmt sich Zeit für seine Musterung und ich komme mir dabei mehr und mehr nackt vor, dabei trage ich sogar noch den alten Mantel, den ich aus dem Secondhandshop habe, weil ich meine teuren Anzüge alle verkauft habe, um möglichst viele Schulden bezahlen zu können.

Er schmunzelt. »Nein, Michael, das tun Sie nicht. Aber Ihre ganze Art, Ihr Auftreten, lässt mich etwas vermuten.« Er spricht nicht weiter, aber das muss er auch nicht, denn sein Blick tut es, und als er sich in einer Weise über die Lippen leckt, während er in meinen Schritt starrt, werde ich knallrot, denn so hetero und unwissend, kann ich gar nicht sein, um diesen süffisanten Blick misszuverstehen. »Ja, das dachte ich mir schon, als Sie Ihre Ex-Frau erwähnten. Aber nur weil jemand verheiratet ist, heißt das heutzutage nicht mehr unbedingt viel.«

Jetzt reicht es. »Ich habe Amanda niemals betrogen. Weder mit anderen Frauen und mit einem Mann schon mal gar nicht.«

»Hatten Sie jemals sexuelle Kontakte zu Männern?«

Ich habe ihm am Telefon über meine Situation von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, wie es immer so schön heißt, das pikante Detail, dass ich von der Welt des schwulen Sex absolut keine Ahnung habe, allerdings lieber ausgelassen. Nur wird mir das nicht helfen, wenn ich mich verkaufe, denn der Mann, der mich kauft, sollte vorab wissen, worauf er sich mit mir einlässt. Ich würde es auf jeden Fall wissen wollen.

»Nein!«, antworte ich daher ehrlich und balle die Hände zu Fäusten, was McGraw nicken und gleichzeitig aufseufzen lässt. Sein »Verstehe.« ist für mich dann der Gipfel. »Was soll das jetzt wieder heißen? Muss ich mich erst durch die Betten fremder Kerle vögeln, damit Sie mich vielleicht für Ihre nächste Auktion in Betracht ziehen?«

»Ganz im Gegenteil, Michael, denn für einen Mann wie Sie, der in Sachen schwuler Sex völlig unberührt ist, werden meine Bieter weit mehr zahlen, als die 150.000 Dollar, die Ihnen einen Neustart erlauben. Damit Sie Ihre Kinder wiedersehen und sich ein neues Leben aufbauen können. Und genau deshalb sind Sie doch heute zu mir gekommen, oder nicht?«

Meine ganze Wut auf den Mann verpufft ins Nichts, denn er hat leider recht, ob mir das gefällt oder nicht. Ich bin aus freien Stücken hier. Ich hätte die Einladung einfach ablehnen und mir stattdessen einen Zweit- und Drittjob suchen können. Doch ich bin hier. Um meinen Körper für eine Nacht zu verkaufen. Was sagt das über mich aus?

»Es tut mir leid.«

McGraw winkt ab. »Das muss es nicht. Absolut nicht. Diese Entscheidung ist für niemanden leicht, der sie trifft, und hier in diesem Raum haben sich schon bedeutend schlimmere Dramen abgespielt, als Ihr kurzer Gefühlsausbruch. Reden wir nicht um den heißen Brei herum, Michael. Sie wollen sich aus finanzieller Not heraus verkaufen und ich kann das für Sie in einem festen Rahmen organisieren, der sicherstellt, dass Sie sich am nächsten Tag noch im Spiegel ansehen können. Punkt. Dass Sie sich trotz allem unwohl fühlen und wahrscheinlich insgeheim auch rund um die Uhr hinterfragen – sagen wir so, ich würde es seltsam finden, täten Sie das nicht. Ein Drink?«, will er plötzlich wissen und deutet bei meinem fragenden Blick hinter sich, wo ich nach kurzem Suchen eine gut gefüllte Bar entdecke. Ich schüttle den Kopf, denn ich sollte bei klarem Verstand bleiben, wenn ich das Ganze wirklich bis zum Schluss durchziehen will. »Trinken Sie etwas Wasser, Michael.«

Ich tue es, ohne zu hinterfragen, während McGraw sich drei Fingerbreit Whisky in ein Glas gießt und mit selbigem in seiner Hand wieder zu mir aufschließt. Er hält etwas Abstand, was ich ihm nicht verübeln kann, denn mir ist schlecht und ich bin auf eine Art nervös, die ich als äußerst unangenehm empfinde. Das hier ist absolut nicht mein Terrain.

»Fragen Sie, Michael. Stellen Sie jede Frage, egal wie albern oder dumm Sie Ihnen vorkommt. Sie sind derjenige, um den es heute geht. Also fragen Sie mich alles, was Sie wissen wollen.«

»Wie lange machen Sie das schon?«

»Sehr lange.«

Das verrät gar nichts, aber sein Blick sagt mir, dass er nicht ins Detail gehen wird, was sein gutes Recht ist, schätze ich. Ich seufze leise. »Kam dabei jemals ein Mann zu schaden?«

»Nein.« McGraw lacht leise, weil ich ihn zweifelnd ansehe. »Ich präzisiere, bei meinen Auktionen und der folgenden Nacht kam niemals jemals zu schaden. Für das Danach garantiere ich nicht, denn sowohl die Männer, die sich anbieten, als auch jene, die auf sie bieten, sind erwachsen. Manche treffen sich nach den Nächten im privaten Rahmen und manche treffen dabei falsche Entscheidungen, während andere wiederum immer wieder das Geld verjubeln, das sie hier bekommen.«

»Danny«, murmle ich unwillkürlich und McGraw nickt, was mir Antwort genug ist.

Mein ehemaliger Arbeitskollege war ein netter Kerl, das ist er noch, er konnte nur nie vernünftig mit Geld umgehen. Wobei das nur sein eigenes Geld betraf, denn das seiner Kunden hat er niemals angerührt – im Gegensatz zu mir. Das waren die ersten Schulden, die ich damals unbedingt ausgleichen wollte, und es ist mir, Gott sei Dank, auch gelungen.

»Bin ich dabei?«

Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll und ich bin heilfroh, als McGraw schweigend nickt und hinterher geduldig wartet, während ich an seinem großen Schreibtisch vorbei zum Fenster marschiere, um kurz durchzuatmen, aber sofort wieder kehrtmache, da es draußen langsam dunkel wird und ich keine Lust auf noch mehr gelebten Reichtum in Form eines riesigen Gartens habe, den es mit Sicherheit auch gibt.

»Warum soll ich mehr wert sein, als andere Männer?«, frage ich, denn ich habe nicht vergessen, was er darüber gesagt hat, dass seine Bieter für jemanden wie mich viel Geld zahlen.

»Ego«, antwortet McGraw schlicht und schwenkt das Glas in seiner Hand, ehe er an dem Whisky nippt. »Da sind schwule Kerle nicht anders als Heteros, von denen einige ein Vermögen dafür bezahlen würden, eine Jungfrau ins Bett zu kriegen.«

»Das ist ...« Ich verstumme wieder, denn ich weiß nicht, was das ist, und mir fallen dazu nur Unhöflichkeiten ein, die ich im Moment besser für mich behalte, immerhin wird mir das Ego von so einem Kerl meinen Neustart ermöglichen – das hoffe ich jedenfalls. »Wenn Sie Ja sagen, und wenn ich auch Ja sage, was dann?« Ich sehe fragend zu McGraw. »Ich meine, wie wird das Ganze ablaufen?«

»Wir besprechen den Vertrag Wort für Wort, und wir beide nehmen uns dafür die nötige Zeit.«

»Ich muss nachher arbeiten«, fällt mir ein, denn ich kann es mir nicht leisten, auch nur eine Schicht zu verpassen.

Er nickt. »Dann reden wir morgen weiter. Oder übermorgen – wann immer es Ihnen passt. Ich will, dass Sie genau wissen, worauf Sie sich dabei einlassen, was von Ihnen erwartet wird und was Sie von dem Mann erwarten können, der Sie ersteigert. Sobald das erledigt ist, gehen Sie nach Hause und ich rufe Sie an, wenn ich Sie in einer Auktion untergebracht habe. Da wir im Normalfall alle arbeiten, findet eine Auktion üblicherweise an Samstagen statt und Sie werden Sonntagmorgen von Craig oder einem meiner anderen Männer nach Hause gefahren. Das ist nicht verhandelbar, denn mir ist wichtig, dass jede Partei am Ende zufrieden ist. Am Abend der Auktion finden Sie sich um Punkt sieben Uhr hier ein, die Auktion beginnt um Punkt Acht. Sie bringen den unterschriebenen Vertrag mit, tragen Kleidung, in der Sie sich wohlfühlen, Sie können hier duschen oder zuvor zu Hause – das bleibt völlig Ihnen überlassen. Kein Zwang. Von Anfang bis Ende. Es mag bezahlter Sex sein, aber das bedeutet nicht, dass er keinen Spaß machen muss.«

»Was springt für Sie bei all dem raus?«

Im ersten Augenblick sieht McGraw mich verblüfft an, dann grinst er. »Sie mögen es wirklich direkt, nicht wahr?« Er winkt ab, bevor ich ihm antworten kann, dass es direkter kaum geht, bei dem, was ich vorhabe. »Wie wäre es, wenn wir ab sofort die Höflichkeiten weglassen und uns beim Vornamen nennen? Das macht es leichter und wir werden schließlich noch einige Zeit in diesem Raum verbringen. Ich bin Dane.«

»Michael«, antworte ich unwillkürlich und runzle die Stirn, was ihn nicken lässt, so als wüsste er, worüber ich nachgedacht habe. Tut er auch, seine nächsten Worte beweisen es.

»Dein Name wird nur innerhalb des Vertrages benutzt, falls du dich entschließt, zur nächsten Auktion zu erscheinen. Jeder, der sich versteigert, bekommt für diese Zeit ein Pseudonym von mir und es obliegt allein ihm, ob er seinem Bieter seinen echten Namen nennt oder nicht. Das Vertragliche wird vorab rechtlich bis auf das letzte Wort abgesichert, damit sowohl du selbst, als auch der Mann, der dich ersteigert, auf der sicheren Seite sind. Es geht hier mitunter um ziemlich hohe Summen, und da sollte alles seine Richtigkeit haben.«

Himmel, wie kann dieser Mann hier stehen, über bezahlten Sex reden und sich dabei wie ein Banker anhören? Vor allem, wie kann er so ruhig bleiben, während mein Herz in der Brust rast, als würde ich einen Marathon laufen. Dass ich die Flasche mit dem Wasser noch nicht fallengelassen oder ihm wahlweise um die Ohren gehauen habe – ohne Worte.

»Wird das auf der Straße auch so gehandhabt?«

Dane schnaubt. »Ich bin kein Zuhälter, der Frauen oder auch junge Mädchen gegen ihren Willen auf den Strich schickt, und sie dafür drogensüchtig macht, sie verprügelt oder beides. Ich unterhalte einen sehr exklusiven Club, dessen Mitglieder es leid sind, viel Geld für Sex von schlechter Qualität zu bezahlen. In meinem Haus entscheide allein ich, wer welchen Preis wert ist, und wenn ich dich auf meiner nächsten Auktion anbiete, wird jeder der Bieter wissen, dass er für sein Geld bekommt, was er erwarten kann.«

Ich runzle die Stirn. »Was bedeutet das?«

»Oh, das kann alles oder nichts bedeuten«, führt Dane aus, dreht mir den Rücken zu und lässt sich kurz darauf elegant auf eine bequem aussehende und garantiert teure Couch sinken, in seiner Hand das Glas mit dem Whisky. Und während sich mein Blick auf der goldenen Flüssigkeit förmlich festsaugt, wünschte ich mir, ich hätte Danes Angebot auf einen Drink angenommen. »Kurz gesagt heißt das, ein paar meiner Bieter haben spezielle Vorlieben. Gleiches gilt für die Männer, die sich verkaufen. Ich stelle vorab gefühlt tausend Fragen, um genau das in Erfahrung zu bringen, und in der jeweiligen Auktionsnacht möglichst nur Bieter einzuladen, die zu den Vorlieben oder Wünschen all der Männer passen, die tun, wozu du dich entschlossen hast.«

Das klingt … vernünftig. »Klappt es?«

»Nicht immer«, gesteht Dane freimütig ein und schlägt die Beine übereinander, während er sich zurücklehnt. »Aber dafür gibt es Klauseln im Vertrag, an die sich jeder hält, und zwar ohne Ausnahme. Stimmen Wünsche und sexuelle Vorlieben bei den jeweiligen Partnern nicht überein, bleibt es beim normalen Sex. Nenn es Blümchensex, wenn du willst. Ansonsten darf im Schlafzimmer alles passieren, was die Männer wollen. Solange es in diesem Haus passiert und dabei ausreichend Gleitgel und Kondome verwendet werden.«

»Wie willst du das sicherstellen?«

»In dem ich die fünf Schlafzimmer im Keller, die für diesen Zweck da sind, mittels Sicherheitssystem überwachen lasse. Du wirst sicher sein, Michael, jede einzelne Sekunde, und es wird nichts passieren, dem du nicht zugestimmt hast.«

»Das ist ein Freudenhaus«, murmle ich unwillkürlich, doch statt beleidigt zu sein, lacht Dane und prostet mir mit seinem Glas zu, um danach etwas zu trinken. Meine Kehle ist plötzlich furchtbar trocken, dabei habe ich immer noch die Wasserflasche in der Hand. »Darf ich es mir anders überlegen?«

»Jederzeit. Auch wenn du schon mit dem Bieter im Bett bist. Ein Wort, wir nennen es Safeword, genügt und die Nacht endet. Du hast keinerlei Nachteil, wenn du es beendest. Außer, dass du nicht bezahlt wirst, sofern es nicht zum Sex kam.«

Und da ist er, der wahrscheinlich einzige, aber riesengroße Haken an der Sache – zumindest für mich.

»Ich glaube, ich hätte jetzt doch gern einen Drink«

Dane nickt und erhebt sich. »Um deine anfängliche Frage zu beantworten, ich bekomme für jede gelungene Auktion von der Gesamtsumme zehn Prozent. Bricht eine der Parteien die Nacht ab oder kommt kein Vertrag zustande, gehe ich leer aus.«

Und das ist – ich habe auch dieses Mal keine Ahnung, was das ist, aber wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich es mir weitaus schlimmer vorgestellt. Jede Seite bekommt das, wofür sie bietet beziehungsweise in meinem Fall, wofür sie sich zur Verfügung stellt, und zehn Prozent sind garantiert weniger Beteiligung, als Prostituierte auf der Straße an ihre Zuhälter zahlen müssen.

»Glaubst du wirklich, dass jemand für eine Nacht mit mir 150.000 Dollar zahlen wird?«, frage ich leise, denn dass geht mir absolut nicht in den Kopf. Ich weiß, dass Edelescorts durchaus fünfstellige Summen für eine Nacht verlangen, aber wir reden hier von bedeutend mehr.

Dane dreht sich zu mir um und fängt an zu grinsen. »Oh ja, das glaube ich. Und falls ich richtig liege, was ich tue, denn ich kenne ihn lange genug, wird der Bieter, an den ich in Bezug auf dich denke, weit mehr als das Mindestgebot bezahlen.«

Ach du heilige Scheiße.


Kapitel 2
Said

»Heute Abend, sieben Uhr. Sei pünktlich!«

Ich habe immer noch Danes befehlende Worte im Kopf, als mein Fahrer Hakim die Tür meiner Limousine öffnet, damit ich durch den Nebeneingang in Danes Haus schlüpfen kann. Dabei wollte ich eigentlich nicht herkommen, nachdem er gestern die Einladung für die nächste Auktion geschickt hatte. Nicht schon wieder. Die letzten dreimal waren alle komplette Reinfälle und langsam fange ich an, mich zu fragen, ob ich nicht doch zu den Escorts in den hiesigen Agenturen zurückkehren soll, denn die sind billiger, diskret, ständig verfügbar, aber vor allem wissen sie, was sie tun.

Was im Grunde mein großes Problem ist, denn ich will das genaue Gegenteil. Ich will einen Mann, der keine Ahnung hat, bei dem ich mich anstrengen muss, den ich verführen kann und der sich mir hingibt. Der mir vertraut, dass ich auf ihn aufpasse und den Sex mit mir für ihn wunderschön mache. Kurz gesagt, ich will einen Mann, der nicht freiwillig in mein Bett hüpft oder sich mir zu Füßen wirft und alles tut, was ich verlange, sobald er begreift, wer ich bin oder besser gesagt, zu welcher reichen und mächtigen Familie ich gehöre.

Diese ständige Anbiederei fand ich als Jungspund ganz nett, aber ich bin keine Zwanzig mehr und mittlerweile langweilt es mich, weil sie alle nur hinter meinem Geld her sind und daraus nicht mal einen Hehl machen. Heutzutage finde ich die meisten Kerle, ehrlich gesagt, zum Kotzen. Genauso wie jene Typen, die sich mir in den hiesigen Clubs oder Bars an den Hals werfen, sobald ich mich dazu überwinden kann, selbige mal wieder zu besuchen. Was selten genug vorkommt, aber ab und zu werden mir meine hübschen Spielzeuge aus Silikon und Glas einfach zu langweilig, und sich nur mit der eigenen Hand zu beschäftigen, ist auf Dauer auch nicht das Wahre. Kurz gesagt, ich vermisse guten Sex und da Dane meine kurze Absage mit einem »Keine Widerrede!« herrisch abgebügelt hat, bin ich heute hier.

Vielleicht hat er endlich mal einen Mann gefunden, der sich nicht daran stört, dass ich den Ton angeben und meinen Partner von Anfang bis Ende verwöhnen will. Auf den Sechser im Lotto – jemand völlig Unberührten – hoffe ich schon gar nicht mehr, immerhin leben wir nicht im Mittelalter und zudem sind wir in Boston. In dieser offenen Stadt einen Schwulen zu finden, der unberührt ist, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein, und so notgeil bin ich dann auch wieder nicht, dass ich mich an einen neugierigen Hetero heranmachen würde.

Meine Eltern tolerieren vieles, dafür dass sie in einem Land aufgewachsen sind, in dem Homosexualität immer noch unter Strafe steht. Sie lieben und akzeptieren mich, und ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe zwei Schulfreunde verloren, deren Eltern nicht so tolerant waren und die zuließen, dass man ihre Söhne mit Peitschenhieben hinrichtet, anstatt um sie zu kämpfen, wie meine Eltern es taten, nachdem ich ihnen gestand, dass ich mit Frauen nichts anfangen kann.

Sie haben nicht gezögert, Saudi-Arabien für mich hinter sich zu lassen, und das werde ich ihnen niemals vergessen. Dennoch – ich kann offen schwul leben und sie werden eines Tages einen Mann als Partner an meiner Seite willkommen heißen, aber sie erwarten ein Mindestmaß an gutem Benehmen von mir, womit ein Verführen von neugierigen Heteros ausfällt.

Was mit ein Grund ist, warum Dane und ich heute so gute Freunde sind, denn wir beide haben unverrückbare Regeln, an denen wir festhalten, und als er mich das erste Mal zu einer von seinen privaten Auktionen einlud, zögerte ich keine Sekunde.

Ich weiß, wie wichtig ihm Integrität und sein guter Ruf sind, und ich wurde von ihm in der Hinsicht nie enttäuscht. Nun ja, fast nie. Aber Dane kann nichts dafür, dass die Männer mich in letzter Zeit vor allem langweilen. Ich langweile mich manchmal vor mir selbst und das frustriert mich, da ich einfach nicht weiß, wonach ich überhaupt suche.

Hat meine Mutter möglicherweise recht, wenn sie sagt, dass ich mit Ende Dreißig längst in einem Alter bin, in dem ich mir insgeheim mehr wünsche, als bedeutungslosen Sex mit ebenso bedeutungslosen Männern? Ist mein Herz etwa schon heimlich auf der Suche nach dem Mann fürs Leben? Nach dieser Person, die mich glücklich macht und vervollständigen wird, genau wie meine Eltern einander vervollständigen?

Ich wünschte, ich wüsste es, denn das würde vieles leichter machen, denke ich. Vor allem Abende wie den heutigen, der bei meinem Glück wahrscheinlich in einer neuen Pleite endet. Aber ich muss ja nicht mitbieten, falls mir keiner der Männer zusagt, die Dane ausgesucht hat, denn Lust habe ich definitiv keine. Ich hätte doch zu Hause bleiben sollen.

Hakim grinst, als ich, genervt von mir selbst, laut aufseufze, und weil ich ihm dafür in die Rippen boxe – mehr neckend als tadelnd –, ächzt er, ehe er sich übertrieben verneigt und mir die Tür zum Haus öffnet.

Ich könnte das selbst, denn ich habe einen Schlüssel und ich kenne sogar den Sicherheitscode für die Alarmanlage, aber ich bin auch ein stinkreicher, verwöhnter Sohn arabischer Eltern, und Hakim wäre mit Sicherheit tödlich beleidigt, würde ich auf einmal darauf bestehen, mir eigenhändig die Türen zu öffnen oder den Wagen zu fahren.

Er ist mein Fahrer, mein Leibwächter und auch mein bester Freund, der schon auf mich aufpasste, als ich noch zu jung war, um zu begreifen, dass unsere Eltern uns damals nicht aus reiner Freundlichkeit miteinander bekannt gemacht haben.

Hakims Familie leitet eine erfolgreiche Sicherheitsfirma mit Büros überall auf der Welt, während meine Familie mit Öl und verschiedenen Bodenschätzen reich geworden ist, was Einfluss und Macht bedeutet – sprich, unser beider Eltern haben schon vor langer Zeit erkannt, dass eine dauerhafte Zusammenarbeit unsere Familien noch reicher und mächtiger machen wird.

Dass wir im Privaten ebenfalls gut harmonieren, wenn auch nicht in dem Maße, wie Hakims Eltern sich das anfangs erhofft hatten – geschenkt.

Wir profitieren von der Macht und dem Reichtum unserer Familien, die hinter uns stehen, allerdings hat es, zumindest in meinem Fall, auch einige Nachteile, reich und bekannt zu sein, unter anderem den, dass ich jeden Tag Schutz brauche, denn es gibt Extremisten in Saudi-Arabien, die der Meinung sind, dass ich nicht würdig bin, der Erbe meiner Familie zu werden, und sie haben schon mehr als einmal versucht, dafür zu sorgen, dass mein kleiner Bruder Ahmad meinen Platz einnehmen muss.

Dreimal waren sie nah dran, ihr Ziel zu erreichen, und die Narben auf meinem Körper erinnern mich jeden einzelnen Tag an die Gefahr, in der ich ständig schwebe. Doch Hakim nimmt seinen Job sehr ernst und er wird weiter Attentäter töten, die es auf mein Leben abgesehen haben. Ich kann nicht behaupten, es gut zu finden, weil ich Gewalt nicht gutheiße, aber ich bin nicht so naiv, dass ich nicht wüsste, dass Gewalt die einzige Sprache ist, die gewisse Gruppierungen verstehen. Und wenn es darum geht, ob ich oder sie sterben – nun, sagen wir es so, ich bin froh, dass Hakim sowohl mein Kampf- als auch das Schießtraining mit Argusaugen überwacht, mit dem er dafür sorgt, dass ich im Notfall selbst für meinen Schutz sorgen kann.

Gott sei Dank steht Ahmad nicht im Fokus der Extremisten, obwohl auch er beschützt wird, darauf bestehen unsere Eltern. Er hat sich damit arrangiert, lebt sonst ein ganz normales Leben und hat nicht das geringste Interesse daran, eines Tages unserer Familie vorzustehen, im Gegenteil. Ahmad liebt seine Arbeit als Koch in einem kleinen Restaurant über alles, ist schon seit acht Jahren glücklich verheiratet, fühlt sich als echter Amerikaner, spielt leidenschaftlich gerne Baseball und würde für seine Frau Emmeline, eine Grundschullehrerin, und meine beiden Neffen Alexander und Liam alles tun.

Aber vor allem ist er nicht homosexuell, so wie ich, und das ist für Extremisten wie jene, die mir nach dem Leben trachten, völlig ausreichend, um Mordanschläge zu rechtfertigen.

»Dein Vater hat dich von der Gästeliste der Spendengala für das Kinderkrankenhaus gestrichen?«, fragt Hakim, während er den leeren Gang überprüft, wie er das immer tut, bevor er mir den Vortritt lässt. Craig wartet vorne im Eingangsbereich an der Treppe, nickt uns bloß zu und tippt sich nebenbei ans Ohr, was heißt, dass er bereits verkabelt und auf dem Gelände überall für heute Abend extra Sicherheitspersonal unterwegs ist. Also alles wie immer, wenn ich im Haus bin. Wir nehmen die Treppe nach oben, denn Dane wird im Arbeitszimmer momentan die letzten Vorbereitungen für die heutige Auktion treffen, und erst als wir außer Craigs Hörweite sind, antworte ich Hakim.

»Mein Großonkel hat ihn angerufen. Es gibt Gerüchte über einen weiteren Anschlag auf mich.« Ich runzle die Stirn. »Hat er dich noch nicht darüber informiert?«

»Natürlich hat er das, aber üblicherweise lässt du dich von Gerüchten nicht von deiner Wohltätigkeitsarbeit fernhalten. Du hast jahrelang für die Erweiterung des Krankenhauses um eine Palliativstation gekämpft und diese Gala ist bedeutend, um die Finanzierung der Station für die nächsten Jahre zu sichern.«

Womit Hakim recht hat, aber mein Vater hatte das ebenfalls, als er mir ins Gesicht sagte, dass ich meine Unzufriedenheit im Leben mittlerweile sichtbar nach außen trage und damit für die mir seit Jahren so wichtige Wohltätigkeitsarbeit ungeeignet bin. Und das werde ich so lange für ihn bleiben, bis ich mein inneres Gleichgewicht wiedergefunden habe. Mein Vater ist kein Mann, der Dinge schönredet oder nette Worte für einen Missstand, der in seinen Augen abgestellt gehört, findet. Fehler sind Fehler. Sie können korrigiert und entschuldigt werden, aber sie bleiben am Ende trotzdem Fehler, aus denen man zu lernen hat.

Und in den Augen meines Vaters gilt das für jeden, der für ihn arbeitet. Dass ich sein Sohn und Erbe bin, ist für ihn in der Hinsicht völlig unerheblich.

Allerdings ist das nicht jene Art von Gespräch, die ich hier und heute mit Hakim führen will, denn es wäre gelogen, würde ich behaupten, ich hätte nicht daran zu knabbern, dass mein Vater mir das Krankenhausprojekt weggenommen hat. So wie jede andere Veranstaltung für dieses Frühjahr, was er offiziell damit erklärt, dass sein Sohn sich eine Auszeit nimmt, um sich anschließend auf die Führung der Familie vorzubereiten.

»Ich bin nicht in Stimmung für so einen Abend«, sage ich, in Bezug auf die Gala, was Hakim nicht täuschen kann.

»Warum sind wir dann hier?«

Eine sehr gute Frage und er kennt die Antwort, darum spare ich sie mir und verlangsame lieber meinen Schritt, um ihm die Möglichkeit zu geben, mir die Tür zu Danes Arbeitszimmer zu öffnen, das wir gleich erreicht haben.

»Du könntest es mit Tinder versuchen.«

Jetzt wird er albern. »Ich könnte dich feuern.«

Eine haltlose Drohung meinerseits, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass er in meinem Alter ist und vor dem gleichen Problem steht, denn auch seine Familie erwartet, dass er sich in naher Zukunft einen Mann erwählt. Wir sind schwul, ledig und fast Vierzig – und obwohl unsere Familien in den USA leben, bedeutet das nicht, dass sie bereit wären, auf alle Traditionen zu verzichten.

»Was du nie tun wirst«, kontert Hakim trocken, klopft kurz an das dunkle Holz und öffnet danach die Tür für mich. Er hält mich am Arm zurück, bevor ich eintreten kann. »Dein Vater hat recht. Du bist seit Monaten unzufrieden und mittlerweile merkt man dir das deutlich an. Finde jemanden, der deiner würdig ist. Du bist bereit für eine feste Partnerschaft.«

»Jetzt klingst du wie meine Mutter.«

»Mütter sind kluge Frauen, Said, und wir Männer täten gut daran, mehr auf sie zu hören«, sagt er mit einem Lächeln und postiert sich dann neben der Tür, während ich stöhne und ihm einen bösen Blick schenke, als er leise lacht. Vergeblich. Hakim kennt mich einfach zu gut.

»Wir reden später«, murre ich und werfe die Tür lauter ins Schloss, als es notwendig wäre, woraufhin Dane, der an seinem Schreibtisch sitzt, eine Braue hebt und wortlos zur Bar deutet. Seufzend nehme ich mir ein Wasser und lasse mich unelegant in einen der Stühle vor seinem Schreibtisch fallen. Hier kann ich einfach nur Ich sein, ohne dass jemand Wert auf gute Manieren oder Etikette legt.

»Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«, fragt Dane, während sein Blick noch auf den Bildschirm seines Computers gerichtet ist.

»Mein Vater.«

»Details?«

»Ich werde nächstes Jahr Vierzig«, antworte ich schlicht, da Dane weiß, was diese magische Altersgrenze für mich bedeutet. Wir haben lang und breit darüber diskutiert, weil es ihm völlig unverständlich ist, dass man die eigenen Kinder notfalls gegen deren Willen verheiratet. Er akzeptiert unsere Tradition und er mag meine Eltern, aber das ist ein Thema, über dass Dane selbst schon mit meinem Vater gestritten hat – auf eine höfliche und ehrliche Weise, denn Dane war es wichtig, zu verstehen, warum meine Eltern einerseits so modern eingestellt sind, andererseits hingegen furchtbar konservativ agieren.

»Geht er dir wieder auf die Nerven damit?«

»Ja und Nein«, gebe ich zu, denn das Thema Hochzeit hat mein Vater bei seiner Ansprache über mein Benehmen wörtlich nicht mal erwähnt. Aber das musste er auch nicht, denn so ist es in unserer Familie nun mal. Vierzig ist die letzte Altersgrenze, die man Männern erlaubt, danach wählt der Vater eine Frau, in meinem Fall einen Mann, aus. Hätte ich Schwestern, wäre es für sie schlimmer, denn sie wären, hätten sie nicht selbst gewählt, spätestens mit Fünfundzwanzig verheiratet worden.

Und das späte Alter gilt nur für meine Familie. Andere sind in der Hinsicht viel traditioneller und verheiraten ihre Töchter und Söhne, sobald selbige das dafür notwendige Mindestalter erreicht haben.

Als ältester Sohn und damit als Erbe genieße ich Freiheiten, die mir nur dank unseres Lebens in den USA möglich wurden, denn selbst Ahmad hat früh geheiratet, wenn auch aus Liebe.

Dass meine Mutter das Thema anspricht und mein Vater es durch die Hintertür tut, denn ich kann unserer Familie nicht als unverheirateter Mann vorstehen – es ist für mich keineswegs eine Überraschung, aber die Vorstellung jemanden zu heiraten, den ich weder kenne noch liebe, schnürt mir innerlich die Kehle zu. Wenn ich heirate, möchte ich den Mann lieben, genauso wie Ahmad seine Frau liebt und so wie meine Eltern einander. Mit weniger will und werde ich mich nicht zufriedengeben.

»Hakim hat mir Tinder vorgeschlagen.«

Dane fängt an zu lachen, schüttelt dabei den Kopf und sieht mich belustigt an, nachdem er den PC ausgeschaltet hat. »Und? Hast du ihm im Gegenzug dasselbe vorgeschlagen?«

»Damit er mich beim nächsten Kampftraining dafür mal so richtig verhaut? Nein, danke«, kontere ich und erwidere Danes Feixen, denn was unsere baldigen Ehegatten angeht, hat Hakim das gleiche Problem wie ich. Ich trinke die kleine Wasserflasche zur Hälfte leer und klopfe dann mit einem Finger nachdenklich an das Glas. »Mein Vater hat mir meine Wohltätigkeitsarbeit für eine Weile aus der Hand genommen. Er ist der Meinung, dass meine derzeitige persönliche Unzufriedenheit mittlerweile nach außen strahlt.«

»Womit er recht hat«, sagt Dane ruhig und zuckt lässig mit den Schultern, als ich ihn überrascht ansehe. »Ich sage vielleicht nicht immer etwas, aber ich bin nicht blind. Deine letzten drei Auktionen waren der sprichwörtliche Griff ins Klo, aber nicht, weil die Männer nicht zu deinen Wünschen und Vorstellungen gepasst hätten, sondern weil keiner von ihnen zu mehr als einer Nacht bereit war. Du jedoch willst schon lange mehr.«

Mein erster Gedanke, Dane zu widersprechen, wird von der Erkenntnis gebremst, dass er mein Freund ist und mich sehr gut kennt. Was ebenfalls für Hakim gilt. Einer von beiden kann sich irren, aber beide zusammen? Zweifelhaft. Und selbst wenn der Vorschlag mit Tinder scherzhaft gemeint war, ist es Hakims Art, mich auf Dinge hinzuweisen, die ich gern lange ignoriere. Wie das Thema Hochzeit und die Suche nach einem geeigneten Ehemann. Dabei bin ich nicht gegen das Heiraten. Warum sollte ich auch? In meinem Umfeld gibt es viele glückliche Ehen, mir da dasselbe zu wünschen, ist nur verständlich, oder nicht?

»Du hättest nicht so lange warten sollen«, erklärt Dane mit einem mitfühlenden Lächeln. »Du hast dir immer wieder und wieder gesagt, dass du noch Zeit hast. Aber jetzt hast du kaum noch Zeit und fühlst dich instinktiv bedrängt. Und ich schätze, ein bisschen bist du auch eingeschüchtert von der Tatsache, wie deine Eltern und dein kleiner Bruder es schaffen, Traumehen zu führen, während du niemanden zu finden scheinst.«

»Ich will, was sie haben«, murmle ich und Dane nickt, denn das weißt er schon seit vielen Jahren.

»Ich weiß. Aber ich weiß eben auch, dass das für dich nicht so einfach ist. Entweder wollen die Kerle nur dein Geld oder sie wollen dir an den Kragen, wie dieser Escort damals, der sich als Attentäter herausgestellt hat. Den einen Mann zu finden, dem dein Geld egal ist und der sich zudem damit arrangieren kann, dass du ohne einen Leibwächter niemals dein Haus verlassen kannst, dürfte nicht leicht werden. Vor allem dann nicht, wenn du über Kinder nachdenkst.«

Ich verziehe das Gesicht, denn das tue ich. Ich mag Kinder. Ich liebe meine Neffen und ich möchte eigene Kinder. Wirklich eigene. Nicht adoptiert, nicht als Pflegekinder. Leiblich müssen sie sein, und das klappt nur auf zwei Wegen, mit einer Frau, die sich damit einverstanden erklärt, allein für diesen einen Zweck zu einem Teil meiner Familie zu werden, oder ganz offiziell mit einer Leihmutter.

Ersteres dürfte in einem freien Land wie diesem schwieriger werden, wenn auch nicht unmöglich, immerhin würde ich die Frau finanziell für den Rest ihres Lebens absichern und Geld ist ein Anreiz, der sehr oft funktioniert. Die zweite Möglichkeit mit einer Leihmutter wäre sicherer und offiziell abgesichert, würde aber ein unschönes Licht auf meine Familie werfen. Besonders in Saudi-Arabien. Nicht zu vergessen, ist die wichtige Tatsache, dass, wenn ich heirate und mit meinem Mann Kinder habe, ich sie alle gefährde, weil ich der Sohn meines Vaters bin.

»Ich will Kinder, Dane. Leibliche Kinder«, sage ich und sehe Dane an. »Aber ich will weder ihnen noch meinem zukünftigen Ehemann eine Zielscheibe auf die Stirn malen.«

Dane versteht mich, wie er es immer tut. »Daran kommst du nicht vorbei, wenn du heiratest. Du wirst immer gefährdet sein, Said, genau wie dann dein Ehemann und eure Kinder. Aber das hat Ahmad nicht davon abgehalten, sein Glück zu finden, und es sollte dich nicht davon abhalten. Hakim kann und wird euch beschützen, das weißt du.«

Natürlich weiß ich das. Hakim ist mir treu ergeben und das wird sich auch niemals ändern. Und darum werde ich ein Auge auf ihn haben, besonders auf den Mann, den er eines Tages für sich erwählen wird, denn mein bester Freund verdient nur das Beste, besser gesagt den Besten, an seiner Seite.

»Übrigens, was ist, wenn der Mann deiner Träume Kinder mitbringt?«, fragt Dane plötzlich und ich blinzle verdattert, um im nächsten Moment die Schultern zu zucken, denn das wäre für mich kein Grund, einen Mann nicht zu heiraten, wenn ich ihn liebe. Im Gegenteil. Kinder sind etwas Wunderbares und es geht mir nur um die Familie, um mein Erbe.

»Er kann so viele Kinder mitbringen, wie er will. Ich werde sie nicht weniger lieben, wie meine eigenen oder jedes, das wir zusammen bekommen und großziehen. Es geht mir nur um die Tradition. Ich brauche einen leiblichen Erben.« Mir fällt abrupt etwas ein. »Oder eine Erbin.«

Dane stutzt, sieht mich fragend an und ich nicke. »Wann hat er das denn entschieden?«

»Vor Kurzem erst. Ich war genauso überrascht wie du, als er es mir mitgeteilt hat. Er erwartet, dass ich ein leibliches Kind in die Welt setze. Ob männlich oder weiblich ist in unserer Familie ab sofort nicht mehr von Belang, wie er sich ausgedrückt hat.«

»Wow.« Dane schürzt nachdenklich die Lippen. »Was sagt der Teil der Familie dazu, der noch in Saudi-Arabien lebt?«

»Dazu hat er sich nicht weiter geäußert. Er meinte nur, dass die Gespräche dazu noch nicht abgeschlossen sind, weil wir alle wissen, dass das Kontroversen mit anderen Familien nach sich ziehen wird. Aber im Endeffekt wird es so kommen, denn er ist zu mächtig und hat zu viel Einfluss, als dass man ihn in dieser Entscheidung überstimmen könnte.« Und weil ich schon dabei bin, kann ich Dane auch den Rest erzählen. »Er hat mir sowohl das Krankenhausprojekt als auch jede andere Veranstaltung im kommenden Frühjahr aus der Hand genommen, und erklärt es offiziell damit, dass ich mir jetzt eine Auszeit nehme, um mich anschließend auf die Führung der Familie vorzubereiten.«

Dane starrt mich eine geschlagene Minute sprachlos an, ehe er den Kopf schüttelt. »Nein.«

»Doch.«

»Scheiße. Damit hat er dir förmlich durch die Blume erklärt, dass du bis zu deinem Geburtstag Zeit hast, einen passenden Ehemann für dich zu finden.«

»Ich weiß«, jammere ich übertrieben, während mir zugleich eine dicke Gänsehaut über den Rücken rieselt, denn genau das hat mein Vater getan. Er hat nicht diese Worte benutzt, weil er sich nie so salopp ausdrücken würde, aber im Endeffekt ist das Ergebnis dasselbe. Und Hakim weiß das, obwohl er vorhin viel zu höflich war, um mir zu sagen, was er davon hält, denn in der Hinsicht sind ihm unsere Traditionen scheißegal, auch wenn er sich an sie halten wird. »Hakim ist stinksauer.«

»Hakim?«

»Du weißt doch, wie er ist, wenn er wirklich sauer ist.«

»Oh ja«, stimmt Dane mir zu und schaudert sichtlich. »Ich werde nie vergessen, wie er gegenüber diesem Idioten damals immer höflicher und höflicher wurde, während seine Stimme förmlich vor Eis klirrte, bis er dem Kerl eine runtergehauen hat, weil der auch das dritte Nein nicht verstehen wollte und ihm an den Arsch gefasst hat. Gruselig.«

»Wenigstens lebt der Typ noch«, werfe ich ein.

»Und davon will ich nichts hören«, wehrt Dane amüsiert ab, obwohl er kein Dummkopf ist und weiß, dass Hakim schon ein paar Mal das Gesetz in die eigenen Hände genommen hat. Die Justiz in diesem Land funktioniert nicht immer und für jeden, und ab und zu kümmern wir uns selbst um Gerechtigkeit, statt darauf zu hoffen, dass Polizei und Gerichte es tun. »Lassen wir das.« Dane sieht auf die Uhr an seinem Handgelenk und greift danach zu dem Knopf für sein Ohr, der vor ihm auf dem Tisch liegt. »Bevor wir runtergehen ...«, beginnt er und reicht mir die heutige Sedcard der Männer über den Tisch. »Du bietest heute auf Nummer fünf.«

Ach so? Ich blicke mit gerunzelter Stirn auf die Auswahl für den heutigen Abend. Nummer drei kenne ich, denn mit dem hatte ich schon das Vergnügen. Ein netter Kerl, der leider seine Finanzen nicht im Griff hat und sich darum regelmäßig für eine Nacht verkauft und auch gerne gekauft wird. Wir Bieter kennen einander und tauschen uns durchaus auch aus, und der Kleine war jeden Cent wert, denn er ist flexibel im Bett und macht alles mit. Darum habe ich ihn einmal gekauft, weil ich neugierig war, ob er wirklich so flexibel ist, und das war er, als er ohne mit der Wimper zu zucken mein Angebot auf eine fünfstellige Summe extra akzeptierte, wenn Hakim uns zusehen darf.

Am Ende hat Hakim mehr getan als das, aber das ist gerade nicht das Thema, denn die von ihm erwähnte Nummer fünf ist für mich auf den ersten Blick dermaßen nichtssagend, dass ich Dane überrascht ansehe, denn er weiß eigentlich, welchen Typ Mann ich bei Auktionen bevorzuge und dieser hier ist eher das Gegenteil davon.

»Hast du getrunken?«

»Noch nicht.« Dane lacht. »Vergiss sein Gesicht, auch wenn er riesige, dunkelgrüne Augen hat, die du dir definitiv ansehen solltest. Die Details sind wichtig, Said. Besonders für dich.«

Ich sehe erneut auf das Blatt, überfliege die üblichen Daten, wie Körpergröße, Maße, besondere Vorlieben, weil das für mich uninteressant ist, und ziehe harsch die Luft ein, als ich das Wort lese. Unberührt. Mein Blick fliegt förmlich zu Dane zurück und er nickt wortlos.

»Bist du sicher?«, frage ich kaum hörbar, denn das wäre der berühmte Sechser im Lotto, von dem ich nicht glaubte, ihn je für mich beanspruchen zu können.

»Du weißt, dass ich die Vorgespräche führe, Said. Er ist, was er sagt. Völlig unberührt.« Und damit genau das, was ich will. Danes Blick umwölkt sich. »Er braucht Hilfe.«

»Welcher Art? Geld brauchen sie alle.«

Dane winkt ab. »Er war absolut ehrlich zu mir und verdient eine zweite Chance. Er ist keiner von diesen Typen, die so oft in unseren Betten landen. Er ist kein Escort, er hat Null Erfahrung und wenn er das Geld nicht so dringend bräuchte, um seine Töchter zu unterstützen, wäre er schon weggerannt. Aber er hat Mut. Er ist hergekommen, weil er es durchziehen will, obwohl ihm dabei Angst und Bange ist. Craig hat ihn im Auge, weil ich ihn darum gebeten habe. Die anderen sind sichere Kandidaten. Zwei Wiederholungstäter und zwei, die auf ein bisschen Action und Abenteuer aus sind. Sie werden schnell ihre Bieter finden. Aber ich will ihn nicht einem der anderen überlassen. Du wirst ihn ersteigern.«

»Sonst …?«, frage ich und bin überrascht und verwundert zugleich, denn Dane hat mir noch nie einen Mann aufgedrängt, das ist überhaupt nicht seine Art.

»Sonst mache ich es.«

Das meint er todernst, wird mir klar, dabei bietet Dane nicht auf seinen eigenen Auktionen. Niemals. Was auch immer er in diesem unscheinbaren Mann mit straßenköterblonden Haaren und angeblich tollen grünen Augen sieht, muss ihm so wichtig sein, dass er bereit ist, alles zu tun, um zu verhindern, dass – ich sehe noch mal auf den Zettel – Diamond Soul heute Abend von einem der anderen Bieter ersteigert wird.

»Wie kommst du nur immer auf diese dämlichen Namen?«, frage ich kopfschüttelnd, was Dane heiter lachen lässt, während er sich erhebt und zur Bar hinübergeht, um mit einem Glas Saft für mich und einem Whisky für sich wieder zum Schreibtisch zu kommen. Ich nehme das Glas dankend an, denn das Wasser habe ich mittlerweile geleert, und rümpfe prompt die Nase, als der scharfe Geruch des Alkohols sie reizt. Aber so wie Dane von Anfang an akzeptiert hat, dass ich keinen Alkohol trinke, so akzeptiere ich, dass er sich ab und zu ein Glas Whisky gönnt, obwohl das für ihn nicht ohne Risiko ist, denn als wir uns vor Jahren kennenlernten, trank er zu viel und hat nur mühsam die Kurve bekommen.

Ich habe deswegen ein Auge auf ihn, denn ich sehe Dane als einen guten Freund an und ich habe zu viele Menschen, die mir wichtig waren, an Alkohol oder Drogen verloren. Beides ist in diesem Land ein wachsendes Problem, dem die Behörden nicht Herr werden, und ich frage mich, wo das noch hinführen wird, wenn heutzutage schon kleine Kinder kiffen oder sich Heroin spritzen. Eine furchtbare Entwicklung.

Die USA sind meine Heimat und ich werde die Freiheit, die ich hier tagtäglich genieße, niemals freiwillig gegen die Zwänge und Pflichten eintauschen, denen ich mich als schwuler Mann Saudi-Arabien unterwerfen müsste, um überleben zu können, aber in puncto Drogen und Alkohol könnten die Amerikaner noch eine Menge von uns lernen.

»Ach, übrigens … Logan ist heute hier.«

Ich stoße einen saftigen Fluch aus, denn das fehlt mir gerade noch. Logan Blackstone. Dieser arrogante Mistkerl, der sich für den Nabel der Welt hält, weil ihm Kerle reihenweise zu Füßen liegen, denn er sieht aus wie Hugh Jackman in dessen Rolle als Wolverine. Das Problem ist nur, er ist bei Weitem nicht so nett, wie der Mann mit den Adamantiumkrallen, auch wenn er nie Probleme damit hat, auf einer Aktion jemanden für seine etwas spezielleren Gelüste zu finden. Ich sehe zurück auf die Sedcard und die unbedarfte Nummer fünf. Ein unschuldiger Mann wie er in den Fängen von Logan – das darf niemals passieren. Mein Blick fällt auf das Mindestgebot. Es ist hoch, aber ich habe auf Danes Auktionen schon weitaus mehr bezahlt. Außerdem ist es eine Summe, die ich aus der Portokasse bezahlen kann, weil ich als Erbe meiner Familie auch mit den entsprechend finanziellen Mitteln ausgestattet bin, um meinen täglichen Lebensunterhalt zu bestreiten, Hakim und seine Leute zu bezahlen, mein Haus zu unterhalten und so weiter und so fort.

Meinem Vater käme nie in den Sinn, mich zu fragen, wofür ich mein Geld ausgebe, denn ich habe seit jeher einen Teil der Apanage, die meine Familie mir jährlich zahlt, fest angelegt und mit diesem Geld über die Jahre hohe Gewinne erzielt.

»Warum die hohe Einstiegssumme?«, frage ich, obwohl das uns Bieter eigentlich nicht zu interessieren hat. Dane kennt alle Daten, alle Details, denn er hält eine sichere Hand über uns als Bieter und über die Männer, die wir ersteigern. Zu unserer und ihrer Sicherheit. Aber wie gesagt, wir sind Freunde, und darum darf ich ab und zu Fragen stellen, die er anderen aus unserer illustren Runde nicht beantworten würde.

»Spielschulden.« Ich runzle die Stirn und Dane trinkt einen Schluck, ehe er weiterspricht. »Er hat alle Auflagen vom Gericht eingehalten. Er spielt nicht mehr, hat die meisten Schulden mit dem Verkauf seines Vermögens abgetragen. Ein Teil ging an die Frau und die Kinder, der Rest ist das Mindestgebot. Danach hat er die Chance auf einen Neuanfang.«

Da ist noch mehr, das spüre ich. »Was noch?«

»Er kommt aus dem Finanzsektor und kann verdammt gut mit Geld umgehen, ich habe ihn genauestens überprüft. Soweit ich mich erinnere, suchst du doch gerade jemanden.«

Ich muss unwillkürlich lachen. »Ernsthaft? Ich soll mit dem Kerl ins Bett steigen und ihm dann einen Job anbieten?«

Dane schmunzelt. »Was du morgen tust, ist deine Sache. Im Moment geht es mir nur darum, dass er heute Nacht bei dir am besten aufgehoben sein wird. Ich weiß, wie du zu den Männern bist, die du ersteigerst.« Er verdreht die Augen. »Ja, okay, keiner ist schlecht zu den Männern, darauf habe ich ein Auge, aber du weißt, wie ich das meine. Stell ihn dir in Blackstones Bett vor.«

So sehr es mir missfällt, das zu tun, auch Logan Blackstone kennt Danes Regeln und er hält sich an sie, sonst wäre er längst kein Bieter mehr. Was das angeht, kennt Dane kein Pardon und wer sich nicht an seine Regeln hält, der fliegt raus und zwar für immer und notfalls auch mit einer Faust im Gesicht. Allerdings ist Letzteres bis heute nur ein Gerücht, weil Dane sich auch mir gegenüber dazu bedeckt hält.

»Blackstone würde ihm nicht wehtun, das weißt du.«

Dane nickt. »Das stimmt. Er mag ein arroganter Arsch sein, aber er hält eine sichere Hand über all jene Männer, mit denen er in meinem Haus Sex hat. Allerdings würde er Diamond Soul nicht so verführen, wie du es tust und wie ich glaube, dass der Mann es verdient. Denk dran, er ist unberührt, Said, und damit bist du heute Nacht seine beste Option.«