Sex vs. Herz


Leseprobe

(Achtung: unkorrigierte Leseprobe)

Prolog

Elias

 

»Und was machen wir jetzt?«

»Du meinst, wo alle unsere Jungs glücklich unter der Haube sind, mit den perfekten Ehemännern an ihrer Seite und einem ganzen Stall voller Urenkel für meinen Vater, die ihm höchstens bis zum kommenden Frühjahr reichen werden?«

Elias grinste, denn viel länger gab er Adrian selbst nicht, bis der mit Sicherheit erneut damit anfing, einen seiner Enkel oder auch gleich zwei mit der Frage nach weiteren Urenkeln für sich zu nerven. Was gut für Maximilian und ihn war, dann mussten sie das nicht selbst in die Hand nehmen. Nicht, dass Maximilian oder er jemals freiwillig zugeben würden, ebenso verrückt nach Enkelkindern zu sein wie Adrian. Sein Schwiegervater machte seinen Job auch ohne ihre Unterstützung schon seit Jahren ganz ausgezeichnet.

»Ja, genau das meine ich«, murmelte Elias und lehnte sich mit einem glücklichen Seufzen an Maximilians Seite, der neben ihm auf der Kaminumrandung saß, zu ihren Füßen einen Teller mit Keksen und zwei Tassen Tee.

»Jetzt genießen wir erst mal Weihnachten und Silvester, und sobald sie nachher alle weg sind, beziehungsweise oben in den Betten liegen, werde ich uns zwei Tassen heiße Schokolade mit Milch kochen, eine weiche Decke vor den Kamin auf den Boden legen und dann ungeniert neben unserem Weihnachtsbaum mit dir herummachen.«

»Oh mein Gott, wieso musstest du das ausgerechnet sagen, wenn ich in Hörweite bin? Hast du immer noch nicht gelernt, dass du als mein Vater kein Sexleben hast?«, fragte ihr Ältester Cole im nächsten Augenblick und während Maximilian in einer resignierten Geste die Arme hob, fing der Rest ihrer verrückten Familie schallend an zu lachen.

Elias hingegen grinste glücklich, denn in diesem Jahr waren sie alle hier bei ihnen versammelt – acht Söhne mit Anhang und natürlich seine Schwiegereltern.

Er liebte Weihnachten seit Jahren, aber solche Abende waren selten geworden, seit ihre Jungs erwachsen waren und Familien gegründet hatten, daher genoss er es umso mehr, sie alle hier zu haben, auch wenn er deswegen die letzten drei Tage mit Maria in der Küche gestanden hatte, um ein tolles Weihnachtsessen zu kochen. Und außerdem gleich drei von seinen bei allen wirklich heiß geliebten Schokoladenkuchen, von denen mittlerweile kein Krümel mehr übrig war.

»Weißt du noch …?«, murmelte Maximilian auf einmal und zwinkerte ihm frech zu. »Ein eiskalter Februarmorgen, du warst gerade diesen Idioten von Anwalt losgeworden, der überhaupt nicht zu dir gepasst hat, trotzdem warst du so stur und wolltest auf Teufel komm raus nicht für mich und das »Boston Hearts« arbeiten. Dabei war ich eine tolle Partie.«

»Damals hatte es noch nicht mal einen Namen und war ein mit Spinnenweben verseuchtes, eisiges Schloss, in dem man auf dem Flur Geister mit Ketten rasseln hörte«, erinnerte sich Elias an den ersten Besuch im Endercott'schen Familienanwesen, das sie am Ende für queere Kinder und junge Erwachsene öffneten, die so dringend ihre Hilfe gebraucht hatten.

»Wie wahr.« Maximilian suchte seinen Blick. »Du hast dich in der erste Sekunde in das Haus und mich verliebt.«

»Natürlich. Aber das konnte ich schlecht zugeben. Dein Ego war sowieso schon viel zu groß.«

»Aus dem Grund hast du es anschließend auch wochenlang mit Genuss wieder und wieder in den Staub getreten.«

Elias war sich keiner Schuld bewusst, immerhin hatte nicht nur er damals seinen Spaß gehabt, während sie wie zwei Kater umeinander herumgeschlichen waren. »Ich habe es dir gesagt.«

»Oh ja, das werde ich nie vergessen. Wie du da standest und mich abschätzig angesehen hast, um dann zu verkünden, wobei ich zitiere: 'Ich heirate keinen arroganten Blödmann. Schließlich bin ich eben erst einen los geworden.', Zitat Ende.« Maximilian lachte leise. »Du warst so eine Kratzbürste.«

»Was du geliebt hast«, erinnerte Elias Maximilian belustigt, denn für ihr Alter hatten sie sich damals wie zwei Dummköpfe benommen. Und das mehr als einmal.

»Wie wahr. Endlich gab es jemanden, der mir nicht ständig nach dem Mund redete, nur weil ich Endercott hieß. Mein Gott, was habe ich unsere albernen Zankereien genossen.«

»Die mir Unmengen grauer Haare beschert haben, Bursche. Du solltest dich also angemessen schämen«, grollte es plötzlich rechts von ihnen und Maximilian stöhnte resigniert, während Elias glucksend an seinem Mann vorbeisah, direkt auf Adrians schicke Hose, die er heute trug – immerhin war Weihnachten –, um danach den Blick zu heben und seinen Schwiegervater breit anzugrinsen, der mit in die Seite gestemmten Händen dastand und ihn finster ansah. »Was? Du warst keinen Deut besser. Was hast du also zu deiner Verteidigung zu sagen?«

»Dass ich schwer verliebt in deinen störrischen Sohn war«, konterte Elias, denn damit konnte er Adrian seit Jahren um den Finger wickeln.

»So so, und warum hast du dann so lange gebraucht, um Ja zu ihm zu sagen und ihn zu heiraten? Kein Wunder, dass eure acht Söhne allesamt furchtbar lahme Burschen geworden sind.« Adrian sah hinter sich. »Der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm, nicht wahr?«

Um sie herum wurde aus unzähligen Kehlen geseufzt, was Adrian lachen ließ und ihn vor allem ablenkte, und kaum hatte sein Schwiegervater sich wieder auf seine Enkel eingeschossen, nutzte Elias die Gelegenheit, um Maximilians Hand zu greifen und sich mit ihm aus dem Wohnzimmer zu schleichen. Dass sie dabei von Emma amüsiert beobachtet wurden – geschenkt.

»Wohin willst du?«, fragte Maximilian, während er ihn dazu nötigte, sich dick anzuziehen, denn Boston lag seit Tagen unter einer dicken Schneedecke begraben und schaffte selbst tagsüber kaum die Null-Grad-Marke.

Elias wickelte sich einen Schal um. »Lass uns rausgehen und einen Schneemann bauen.«

»Wie alt bist du noch mal?«, fragte Maximilian und kicherte, als Elias ihm dafür die Zunge herausstreckte. »Pfui, schäm dich. Böse Zunge.«

»Heute Morgen unter der Dusche hattest du absolut nichts gegen sie einzuwenden, wenn ich mich richtig entsinne.«

»Und das wirst du schön für dich behalten, immerhin haben wir gerade erst erfahren, dass wir keinen Sex haben dürfen, um die sanfte Seele unseres Ältesten nicht zu traumatisieren.«

»Das habe ich so nie gesagt!«

»Hör auf, deine Väter zu belauschen, sonst erfährst du bald weit mehr über sie, als deiner unschuldigen Seele lieb ist, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Großvater!«

Lachend zog Elias Maximilian aus dem Haus. »Sie sind echt unmöglich, und zwar alle. Wo waren wir gerade?«

»Bei der Frage deines Alters«, antwortete Maximilian, samt einem Feixen, welches Elias ihm erst einmal genüsslich von den Lippen küsste, bevor er amüsiert erklärte: »Ich bin älter als du, Mister, vergiss das nicht ständig.« Er stutzte übertrieben. »Oh, ich verstehe. Nun ja, falls du dich für einen Schneemann zu alt fühlst, können wir auch einfach spazieren gehen oder ...«

Weiter kam er nicht, denn Maximilian knurrte empört und zerrte ihn kurz darauf in den Garten hinaus, der einem wahren Winterwonderland glich, denn sie räumten hier hinten nur auf der Terrasse den Schnee beiseite, ansonsten blieb die Natur, wie der Winter sie schuf, und das gab ihnen jetzt genügend Schnee, um drei verschieden große Kugeln aufzurollen – immer wieder unterbrochen von Gelächter und Pausen, wenn Elias auf einmal das Bedürfnis verspürte, Maximilian zu küssen.

Am Ende bekam der etwas schiefe Schneemann noch Arme aus vergessenen Holzstäben, die den Sommer über immer ihre Blumen stützten, und Maximilian grub aus einem Beet ein paar Steine unter dem Schnee aus, die sie als Augen, Nase und einen Mund verwendeten.

»Gar nicht so übel. Etwa fünf Komma neun in der A-Note«, sagte Leon auf einmal und Elias verkniff sich ein Lachen.

»Höchstens fünf Komma sechs. Er ist schief.« Das war Dare, frech wie immer.

»Holen wir noch einen Schal und einen Hut, sonst friert der Schneemann«, erklärte Corrie hinter ihnen und Elias warf einen lächelnden Blick über die Schulter, wo sich mittlerweile alle ihre Kinder versammelt hatten.

Natürlich hatten sie ihre Kinder mitgebracht, und nachdem Maximilian und er einen Blick getauscht und hinterher genickt hatten, stürmte die Bande freudig jubelnd den Garten, weil der Schneemann nicht allein bleiben, sondern ebenfalls seine eigene Familie haben sollte.

Maximilian suchte seinen Blick. »Manchmal frage ich mich, ob wir verrückt waren, uns gleich acht von ihnen anzuschaffen. Wir hätten so ein ruhiges Leben führen können.«

»Und hätten uns zu Tode gelangweilt«, konterte Elias heiter und lachte, als Maximilian die Augen verdrehte, um danach die Arme um seinen Ehemann zu legen. »Sieh sie dir an«, flüsterte Ellias, mit Blick auf Adrian, der im Moment einem von Blakes und Dares Zwillingsmädchen beim Aufrollen eines Schneeballs half. »Wie glücklich sie sind. Wie glücklich wir sind. Hättest du jemals gedacht, dass wir mal hier stehen? In unserem Haus und mit unseren Kindern und Enkeln? Umgeben von denen, die wir über alles lieben?« Er sah Maximilian zufrieden an. »So wie ich dich liebe.«

»Nein«, gab Maximilian zu und beugte sich vor, um ihn zu küssen, ehe er flüsterte: »Aber ich habe es mir gewünscht, seit ich ein ganz kleiner Junge war, und manchmal gehen Wünsche in Erfüllung.«



Kapitel 1
Elias

Manchmal war das Leben einfach nur scheiße.

Die Erfahrung machte Elias Parks drei Monate nach seinem sechsunddreißigsten Geburtstag, den er damit verbracht hatte, wutentbrannt das Hab und Gut seines Ex-Freundes in Kartons zu werfen, nachdem er Christoph dabei erwischt hatte, wie der in ihrem Bett einen ihm völlig fremden Typen vögelte – was er, wie Elias leider erst hinterher erfuhr, schon seit vielen Monaten tat, sich aber nicht von ihm hatte trennen wollen, da es bequem war, einen reichen Lover zu haben, der für sie immer sämtliche Rechnungen bezahlte.

Elias kannte sich mit schlechten Phasen im Leben aus, denn er hatte schon einige hinter sich. Als Arzt passierte das nun mal unweigerlich, vor allem in privater Hinsicht, denn es gab leider nicht sehr viele Männer, die bereit waren, hinter seinem Job die zweite Geige zu spielen. Aber den Job war er ja nun auch los, da machte Christophs Betrug kaum noch etwas aus.

Wobei ihm seine Kündigung im Grunde nicht so ungelegen kam wie er erwartet hatte, musste Elias sich eingestehen, weil er bereits eine Weile damit liebäugelte, sich als Arzt selbstständig zu machen und eine eigene Praxis zu eröffnen.

Durch das Erbe seiner Großmutter war er abgesichert, auch wenn er um das Geld lange hatte kämpfen müssen. Elias würde nie verstehen, wie seine Eltern ihn so sehr hassen konnten, dass sie nicht mal dazu bereit waren, den allerletzten Willen seiner Großmutter zu befolgen. Gott sei Dank hatte sein Anwalt gute Arbeit geleistet und das Gericht war von Anfang an auf seiner Seite gewesen. Trotz der widerwärtigen Schlammschlacht, die seine Eltern vor Gericht inszeniert hatten, weil er, der schwule Sohn, geistig kaum in der Lage sein konnte, mit einem so hohen Erbe umzugehen.

Dass besagter Sohn ein Medizinstudium und mehrere Jahre praktischer Arbeit hinter sich hatte, die bewiesen, dass er sehr wohl in der Lage war, ein Erbe zu verwalten, hatten seine Eltern nicht gelten lassen wollen, waren aber vom Gericht am Ende in ihre Schranken gewiesen worden.

Das Ergebnis war, dass er erstens finanziell ausgesorgt und zweitens rechtzeitig erkannt hatte, dass Christoph, der anfangs nur sein Anwalt gewesen war, bevor sie beschlossen, dass es in Ordnung war, ihre bisherige Arbeitsbeziehung in Zukunft auch aufs Private auszuweiten, ihn ausnutzte.

Elias weigerte sich störrisch zu glauben, dass es Christoph vom ersten Tag an nur um sein Geld gegangen war, obwohl der Gedanke sich ihm in den letzten Wochen förmlich aufgedrängt hatte, aber es brachte nichts, sich die Frage weiterhin zu stellen, denn eine ehrliche Antwort würde er kaum bekommen.

Und Elias wollte sie auch gar nicht hören.

Noch eine Erkenntnis, mit der er klarkommen musste.

Christoph war weg.

So wie sein gut bezahlter Job im Krankenhaus, und jetzt galt es, einen Neuanfang zu planen.

Der dieses Mal nicht wieder im Chaos enden würde, schwor sich Elias, während er den letzten Karton mit Christophs Kram nach unten trug, um ihn zu den anderen neben die Haustür zu stellen. Stattdessen stellte er ihn beinahe auf einen in einem sehr teuren Schuh steckenden Fuß, da ein Mann in das Haus wollte, in dem er mit Christoph zwei Jahre gemeinsam gelebt hatte.

»Oh, Entschuldigung.«

Grüne Augen musterten ihn. »Sind Sie Elias Parks?«

Im ersten Moment wollte Elias die Frage verneinen, weil es eiskalt war und er schlechte Laune und deswegen absolut keine Lust auf ein Gespräch hatte, aber das wäre albern gewesen und er war längst zu alt für Albernheiten. »Ja. Warum?«

Sein Gegenüber setzte ein verführerisches Lächeln auf. »Sie kommen direkt zum Punkt, das gefällt mir.«

Christoph hatte genauso lächeln können, aber dieses Mal würde Elias nicht darauf hereinfallen. Nein, falsch, er würde nie wieder auf so ein garantiert falsches Lächeln hereinfallen. Basta! Wenigstens war er nie so bescheuert gewesen, Christophs Namen in den Mietvertrag aufnehmen zu lassen, sonst hätte er sich mit ihm mit Sicherheit noch um ein bleibendes Wohnrecht streiten müssen, und das wäre nach den vergangenen Wochen, in denen sie sich um fast alles gestritten hatten – angefangen vom Toaster bis hin zu den bunten Kaffeetassen, die natürlich Elias gekauft hatte –, wirklich zu viel gewesen.

Das hatte man davon, sich einen betrügerischen Anwalt als Freund zu nehmen, der sich nicht zu fein war, ihre Trennung aus Rache so unangenehm wie möglich zu machen.

»Was wollen Sie?«, knurrte er und ging um sein Gegenüber herum, weil er endlich den schweren Karton loswerden und ins Warme zurückkehren wollte. Der Winter war dieses Jahr eisig und sie hatten gerade mal Februar. Bis die Sonne die Berge von hohem Schnee überall in Boston zum schmelzen brachte, würde wohl noch mindestens ein Monat vergehen, wenn nicht länger. »Ich habe zu tun.«

»Ja, das sehe ich. Machen Sie eine Pause«, sagte der Fremde und es klang so sehr nach einem Befehl, dass Elias automatisch auf die inneren Barrikaden ging. Er hatte noch nie gern Befehle entgegengenommen und von einem Unbekannten würde er das schon mal gar nicht tun.

»Nein.«

Sein Gegenüber gluckste heiter. »Eine Verschnaufpause darf man sich immer gönnen, vor allem wenn man zuvor offenbar schwer gearbeitet hat.« Der Blick des Mannes landete für einen Moment auf der Ansammlung Kartons neben der Tür. »Ich lade Sie auf einen Kaffee ein.«

Elias verkniff sich ein Stöhnen. »Was an dem Wörtchen Nein ist Ihnen unverständlich?«

»Nichts. Ich höre es nur nicht gern.«

Na klar, was auch sonst. »Ist mir egal. Ich habe, wie ich eben schon zu Ihnen sagte, zu tun.«

»Wollen Sie mir den nächsten Karton gleich auf meinen Fuß stellen oder schlagen Sie mir lieber die Tür vor der Nase zu? Ich könnte hier draußen erfrieren, das ist Ihnen klar, oder?«

»Dann gehen Sie ins Warme«, antwortete er genervt.

Sein Gegenüber grinste sichtlich zufrieden. »Oh, ist das eine Einladung auf einen Kaffee zu zweit?«

Herrje! Elias fluchte. »Nein!«

***

Er wurde frech ausgelacht und eine Stunde später, nachdem er nachgegeben hatte, da ihm das leichter schien, als sich weiter in der Eiseskälte mit diesem Mann mit den sehr teuren Schuhen herumzustreiten, wusste er, dass selbiger Maximilian Endercott hieß, ebenfalls ein verdammter Anwalt und gekommen war, um ihm einen unbefristeten, gut bezahlten Job anzubieten.

Den er nicht mal gegen eine Bestechungszahlung annehmen würde, soviel stand fest. Wobei die Endercotts, ihrem guten Ruf nach zu urteilen, wahrscheinlich bedeutend bessere Arbeitgeber sein dürften, als das Krankenhaus, das ihn rausgeworfen hatte, weil er nicht länger bereit gewesen war, nach ihren widerlichen Regeln zu spielen.

Aber das gehörte nicht in dieses kleine Café auf der anderen Straßenseite, in dem er mit Endercott mittlerweile saß – das er übrigens noch nie zuvor betreten hatte, obwohl er schon einige Jahre in dieser Gegend lebte –, und sich verzweifelt fragte, wie er überhaupt hierhergekommen war, während er gleichzeitig überlegte, ob es ein Verbrechen wäre, dem Anwalt einfach den Mund zuzuhalten, da der Kerl fast ununterbrochen von einem LGBT-Zentrum für obdachlose Kinder und Jugendliche redete, das er derzeit aufbaute und für das er ihn unbedingt als Arzt in einer unbefristeten Anstellung engagieren wollte.

Dass Elias gerade überlegte, in naher Zukunft seine erste, eigene Praxis in Angriff zu nehmen – egal.

Dass er überhaupt kein Interesse daran hatte, jemals wieder in irgendeiner Klinik oder auch einer Praxis als Festangestellter zu arbeiten – egal.

Dass er auf gar keinen Fall mit Maximilian Endercott Essen gehen wollte – egal.

Dass Endercott anbot, weitere Gespräche mit Christoph als sein Anwalt zu übernehmen, damit ihre Trennung ab jetzt glatt über die Bühne ging – okay, das war Elias nicht egal, obwohl er das vorherige Angebot zu einem Abendessen, um die Pläne für das Zentrum zu besprechen, wie Endercott es nannte, weil das Haus weder renoviert war noch einen Namen hatte, noch nicht ganz verdaut hatte.

»Und was ist mit unserem geplanten Abendessen?«, fragte Endercott abrupt und hatte dabei einen Ausdruck im Gesicht, für den Elias keine Worte fand, der ihm aber zugleich ein mehr als unruhiges Flattern in der Magengegend bescherte.

Maximilian Endercott war offensichtlich daran gewöhnt zu bekommen, was er haben wollte, und im Moment war wohl er derjenige, den dieser Mann wollte – wofür auch immer.

Schon aus Prinzip und weil sein Privatleben seit November eine einzige Katastrophe war, lehnte Elias erneut ab. Endercott grinste daraufhin jungenhaft und ließ das Thema fallen – Gott sei Dank. Stattdessen kehrte er zu seinem Zentrum zurück, und Elias, der nicht sicher war, ob er das gut oder schlecht finden wollte, da ihm von der verbalen Dauerbeschallung langsam die Ohren wehtaten, kam deshalb wieder auf seine vorherige Idee mit dem Mund zuhalten zurück.

Er entschied sich nur dagegen, weil er auf einmal Christoph gegenüber entdeckte, und bei den unbekannten Männern, die seinen Ex-Freund begleiteten und der überraschenden Menge an gefalteten Kartons, die sie allesamt trugen, wurde Elias von einer Sekunde auf die andere überaus misstrauisch. Das meiste Inventar in seiner Wohnung gehörte ihm und nicht Christoph, was der aber scheinbar immer noch anders sah. Und offenbar hatte er beschlossen, heute Nägel mit Köpfen zu machen. Oder anders ausgedrückt, er hatte vor, ihn zu bestehlen. Und das als Anwalt. Unglaublich.

»Ist er das etwa?«, fragte Endercott und erhob sich, als Elias nickte, denn das Thema Ex-Freund hatten sie irgendwann nach der ersten und vor der dritten Tasse Kaffee angeschnitten, als er unverblümt nach den Kartons gefragt worden war und gehofft hatte, dass Ehrlichkeit bei Endercott am ehesten dazu führte, dass der den Mund hielt. Tja, falsch gedacht. »Bleiben Sie ruhig sitzen, Elias. Als Ihr Anwalt werde ich jetzt ein ernstes Wort mit Ihrem Ex-Freund reden, denn ich bezweifle doch, dass er so viel Besitz in Ihrer Wohnung hat, dass es diese Anzahl an Kartons und besonders die Anwesenheit dieser zwielichtigen Gestalten rechtfertigen würde.«

»Hat er nicht. Ich habe immer alle größeren Anschaffungen bezahlt. Was ihm gehört, hat er längst mitgenommen, und den Rest habe ich Ihnen vorhin aus Versehen beinahe auf den Fuß gestellt.« Und die Kartons standen unberührt vor dem Haus, in das Christoph soeben verschwunden war. »Wir streiten uns seit Wochen darüber, was ihm angeblich alles an Hausrat gehört, obwohl ich selbigen bezahlt habe.«

Maximilian Endercott warf ihm einen so ungläubigen Blick zu, dass Elias seufzte. Ja, er war ein verliebter Trottel gewesen, das wusste er mittlerweile auch. Elias schaute aus dem Fenster, da er den jetzt unverkennbar mitfühlenden Blick von Endercott nicht ertrug.

»Ich regle das.«

Und das tat er tatsächlich, denn keine fünf Minuten später konnte Elias verblüfft dabei zusehen, wie zuerst diese finsteren Gesellen und kurz darauf Christoph mit raschen Schritten und leeren Händen das Haus verließen, gefolgt von einem mehr als überheblich grinsenden Endercott, der, nachdem er wieder an seiner Seite Platz genommen hatte, ohne ein erklärendes Wort Christophs Wohnungsschlüssel vor ihn auf dem Tisch ablegte, deren Herausgabe sein Ex-Freund bisher verweigert hatte.

»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte Elias überrascht.

»Gehen Sie mit mir essen?«

Auf keinen Fall würde er so verrückt sein, sich auf ein Essen mit dieser blonden, grünäugigen Verführung auf langen Beinen und im maßgeschneiderten Anzug einzulassen. Elias hatte die Schnauze voll von Männern in Anzügen und ganz besonders von Anwälten, obwohl er Endercott durchaus hoch anrechnete, was der soeben für ihn getan hatte. Trotzdem würde der Mann von ihm keinerlei Gegenleistung dafür erhalten, weder in Form eines Essens noch sonst irgendwie.

»Nein!«, erklärte Elias stoisch und steckte den Schlüssel ein. Als er angegrinst wurde, stöhnte er nachgebend. »Na schön, ich danke Ihnen dafür. Sagen Sie mir jetzt, wie Sie Christoph dazu gebracht haben, dass er Ihnen den Schlüssel überlässt?«

»Ich wiederhole … Gehen Sie mit mir essen? Wir haben so viel in Bezug auf das Zentrum zu besprechen und das könnten wir in einem Restaurant in viel angenehmerer Atmosphäre tun,  nicht wahr?«

Oh ja, und das Ganze noch mehr nach einem Date aussehen lassen. Hielt der Anwalt ihn tatsächlich für so naiv, dass er das nicht durchschaute? Elias sah Endercott böse an. »Nein!«

Maximilian Endercott lachte und erhob sich. »Dann müssen Sie es wohl selbst herausfinden, Doktor Parks. Nun denn, vielen Dank für Ihre Zeit. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag und schicke Ihnen schnellstens die Vertragsunterlagen und eine Karte mit meinen Kontaktdaten zu. Zögern Sie nicht, mich Tag und Nacht anzurufen, wenn Sie Fragen haben.«

Was für ein arroganter Arsch.

***

»Er hat es dir nicht erzählt?«

»Nein!« Elias war deswegen immer noch sauer.

»Obwohl du deinen Arztblick aufgesetzt hattest?«

Elias stöhnte und Sebastian fing an zu lachen, was schnell in einen heftigen Husten überging, und Elias erhob sich eilig von dem unbequemen Besucherstuhl und setzte sich auf die Kante von Sebastians Krankenbett, um ihm ein sauberes Taschentuch aus dem Spender zu ziehen und zu reichen. Es war voller Blut, als Sebastian sich nach einiger Zeit langsam wieder beruhigte und die Maschinen neben dem Bett, an die er seit drei Wochen leider dauerhaft angeschlossen war, aufhörten, lautstark Alarm zu schlagen.

Die Tür zu Sebastians Einzelzimmer ging eilig auf und Elias schüttelte den Kopf, ohne hinzusehen, weil Sebastian rund um die Uhr überwacht wurde, und wenn er den Dienstplan richtig im Kopf hatte, müsste jetzt Dave hinter ihm stehen, der heute in der Spätschicht arbeitete, darum war Elias zu dieser Zeit in die Klinik gekommen, denn Dave und sein Arbeitskollege Paul – die auch privat zusammenlebten, obwohl sie das offiziell bloß aus Geldgründen taten, aber Elias wusste es besser – nahmen es mit den Besucherzeiten nicht ganz so ernst, sprich, sie ließen zu, dass er abends oft länger blieb als erlaubt.

Was in Elias' Augen ohnehin totaler Schwachsinn war, denn die Patienten auf diesem Stockwerk brauchten jede Ablenkung, die sie kriegen konnten, und sie verdienten selbige auch, denn sie waren hier, um zu sterben, und wenn jemand das Recht auf ein wenig Gesellschaft hatte, dann waren es Menschen, denen die Zeit sprichwörtlich davonlief.

»Sicher, Doktor Parks?«

Ja, das war Daves ruhige, sonore Stimme, die den Pfleger zu einem der beliebtesten Mitarbeiter auf der Krebsstation machte. Elias seufzte resigniert und nickte erneut, denn es gab nichts zu tun, außer Sebastian das Blut vom Mund zu wischen und ihm etwas zu trinken zu geben.

»Er hat gelacht und das ist ihm nicht gut bekommen.«

»Ich mache euch frischen Tee«, sagte Dave und kurz darauf klappte die Tür und Elias suchte Sebastians Blick, der daraufhin die Augen verdrehte, was ihn gleichzeitig amüsierte und auch ärgerte. Wobei der Ärger wohl eher seiner puren Verzweiflung zuzuschreiben war, denn sein bester Freund seit der Uni hatte das Endstadium seiner Erkrankung erreicht und es gab absolut nichts und niemanden auf dieser Welt, der daran irgendetwas ändern konnte

»Du musst ihn mir vorstellen«, krächzte Sebastian, um sich gleich darauf zu räuspern. Als Elias ihm etwas Wasser eingoss, trank er es ganz langsam in mehreren Schlucken, bevor er ihm ein müdes, aber sichtlich zufriedenes Grinsen schenkte. »Wenn ein Mann wie Maximilian Endercott dich innerhalb nur weniger Minuten praktisch mundtot macht, ist er ein weitaus besseres Heiratsmaterial als dieser Idiot, den du ...«

Elias knurrte fast. »Bastian ...«

»Ja, ja, ja, ich weiß.« Sebastian lächelte ihm entschuldigend zu. »Wir werden Pennywise möglichst nie mehr erwähnen, was aber nicht für Endercott gilt, der, wenn man den Gerüchten um seine Person glaubt, was ich nicht tue, ein verdammt sexy Kerl ist, der nichts anbrennen lässt.«

Und genau deshalb würde Elias sich tunlichst fernhalten, er hatte schließlich gerade erst erlebt, was passierte, wenn ein Kerl den Schwanz nicht in der Hose lassen konnte. Es mochte ja sein, dass er Endercott damit Unrecht tat, wenn er ihn mit Christoph verglich, aber eine schlechte Erfahrung blieb eben eine schlechte Erfahrung, und fürs Erste fand er es weitaus angenehmer, sich ein Leben als Single vorzustellen. Gerade jetzt, wo Sebastian ihn mehr als alles andere brauchte.

»Womit ich nichts zu tun haben will«, sagte er deshalb, mit den Gedanken bei Christoph. »Das fehlte mir noch. Vom Regen in die Traufe, sagt dir das was?«

Sebastian winkte ab oder versuchte es zumindest, aber sein Körper war schwach und ausgemergelt und er hatte nur noch selten die Kraft, eigenständig das Bett zu verlassen. »Nicht jeder ist wie … Pennywise, also ...«

»Endercott ist Anwalt«, warf Elias ein, was nur ein weiteres Ausschlusskriterium für ihn war, mit dem Mann irgendetwas anzufangen – nicht, dass er das überhaupt wollte –, da konnte der noch so gut aussehend sein und tolle grüne Augen haben. Und dass ihm das überhaupt aufgefallen war, ärgerte Elias weit mehr, als er Sebastian gegenüber zugeben wollte. Warum hatte er auch ein Faible für blondes Haar und grüne Augen? Tja, aus demselben Grund, warum Sebastian damals prompt auf seine blauen Augen abgefahren war und ihn am Ende trotzdem nicht angerührt hatte. Jedenfalls nicht sexuell. Man konnte sich nun einmal nicht aussuchen, wen man anziehend fand oder in wen man sich verliebte. Wäre das anders, hätte er um Christoph mit Sicherheit einen großen Bogen gemacht.

»Na und? Das heißt doch nicht, dass er deshalb ein Betrüger und Arschloch ist. Als du mich gestern angerufen und von ihm erzählt hast, habe ich Dave gebeten, ein bisschen rumzufragen, und was er mit dieser Art Schutzhaus für obdachlose, schwule Jugendliche vorhat, finde ich wirklich großartig. Wir bräuchten allein hier in Boston zehn solcher Häuser, wenn nicht mehr. Noch dazu gilt Endercott beruflich als integer und fair. Und die Gerüchte, dass er angeblich nichts anbrennen lässt, sind genau das, bloß Gerüchte.« Sebastian sah ihn ernst an. »Ich meine, hat dich das damals davon abgehalten, dich mit mir anzufreunden? Nein. Und ich habe nun wirklich nichts anbrennen lassen.«

»Nur mich wolltest du nie.«

Elias zog einen übertriebenen Schmollmund, weil Sebastian das von ihm erwartete, denn sie neckten sich seit Jahren damit, dass sie es niemals über 'beste Freunde' hinausgeschafft hatten, dabei hatten sie bei vielen Dingen den gleichen Geschmack und würden mit Sicherheit perfekt zusammenpassen. Und so weiter und so fort – Elias hatte irgendwann aufgehört hinzuhören, wenn das Thema in der Uni oder später in der Assistenzzeit im Krankenhaus aufgekommen war, denn sogar die hatten sie im selben Haus absolviert.

Sein Freund gluckste leise. »Weil du ein Beziehungsmensch bist. Das warst du immer. Und ich nicht. Also dachte ich mir, ist es klüger, mir dich als besten Freund zu angeln. Und wie man sieht, war das eine verdammt gute Entscheidung.« Elias verzog gequält das Gesicht, weil er wusste, was Sebastian gerade nicht aussprach, und der verdrehte sofort wieder die Augen. »Mach das nicht. Es ist nichts Neues für mich, das weißt du. Ich habe mich längst damit arrangiert.«

»Sie sollten hier sein, Bastian. Sie sind deine Familie.«

»Und ich bin der sterbende Sohn, der nie das gemacht hat, was sie wollten. Für meine Eltern und Leonhard bin ich immer nur das schwarze Schaf gewesen, warum sollte sich das jetzt in meinen letzten Wochen ändern? Ich habe dich, das ist genug.«

Elias schnaubte. »Sie sind Idioten.«

Sebastian lachte kurz. »Ja, das sind sie, aber pssst, wir sagen es ihnen einfach nicht.«

Elias stöhnte. »Du bist viel zu nett für diese Welt, Bastian.«

»Tja, und das wäre ich vielleicht auch noch lange gewesen, aber leider, leider konnte ich meine Finger nie von den Kippen lassen, und das habe ich jetzt davon.« Sebastian zuckte mit den Schultern. »Hey, immerhin bezahlen sie meine Rechnungen, seit ich sämtliche Ersparnisse aufgebraucht habe. Das ist weit mehr, als ich jemals von ihnen erwartet hätte.« Sebastian seufzte und schloss die Augen. »Ich bin schon wieder müde. Bleibst du bei mir, bis ich eingeschlafen bin?«

»Natürlich«, murmelte Elias und griff nach Sebastians kalter Hand, um seinem Freund zu zeigen, dass er für ihn da war und auch immer da sein würde – obwohl das 'immer' vermutlich nur noch einen Monat dauerte, vielleicht zwei.

Wenig später öffnete sich die Tür zu Sebastians Zimmer ein weiteres Mal und Dave stellte eine Kanne Tee und zwei saubere Tassen auf den Beistelltisch, ehe er aufmunternd seine Schulter drückte und ihm hinterher Tee eingoss. Elias bedankte sich und Dave lächelte, bevor er auf Sebastians Krankenblatt deutete, das am Fußende vom Bett hing.

»Ich weiß«, sagte Elias leise. »Ich habe es mir angesehen, als ich ankam. Hat Spencer eine neue Prognose?«

Adam Spencer war Sebastians behandelnder Onkologe und galt als einer der besten auf seinem Fachgebiet. Aber auch dem besten Arzt waren Grenzen gesetzt und mittlerweile ging es nur noch darum, Sebastian die letzte Zeit so angenehm wie möglich zu machen, denn der Krebs hatte längst gestreut und saß neben der Lunge mittlerweile auch in fast jedem anderen Organ und in den Lymphknoten. So heftig Sebastian auch gekämpft und in den letzten drei Jahren jede Behandlung mitgemacht hatte, der Krebs war stärker gewesen und er würde ihn umbringen. Und das schon sehr bald.

»Ein Monat, vielleicht noch sechs Wochen.« Dave warf einen Blick auf Sebastian und seufzte. »Warum trifft es nur immer die Guten von uns?«

Tja, und das war eine Frage, die kein Mensch jemals würde beantworten können, und es brachte im Grunde auch nichts, sie sich überhaupt zu stellen. Krebs war ein Arschloch und manche traf es, obwohl sie immer gesund lebten und niemals rauchten, während andere Kette rauchten und trotzdem neunzig Jahre alt wurden. Sebastian hatte nicht so viel Glück gehabt und ob es wirklich an den Zigaretten lag, dass er mit Anfang Dreißig im Endstadium an Lungenkrebs litt – niemand wusste es und das würde sich auch nicht ändern.

Es war, wie es nun mal war, und Elias würde an Sebastians Seite bleiben, bis sein Freund für immer die Augen schloss. Erst dann würde er sich hinsetzen und in aller Ruhe überlegen, was er als nächstes tun wollte, denn Endercotts Angebot für dessen Zentrum anzunehmen, kam für Elias nicht infrage.

»Und?«, fragte Dave auf einmal leise. »Haben Sie sich schon einen neuen Anwalt genommen, um das Krankenhaus wegen Diskriminierung auf Schadenersatz zu verklagen?«

Elias musste unwillkürlich lachen, denn bei dem Thema war er der einzige in seinem Umfeld, den es nicht störte, dass er vor Kurzem entlassen worden war. Sparmaßnahmen, laut offizieller Aussage, aber Elias kannte die Wahrheit. Er war ihnen in letzter Zeit zu unbequem geworden und er war auch nicht dazu bereit gewesen, Patienten in naher Zukunft nach ihrem finanziellen Status einzuteilen und zu behandeln. Sprich, wer genug Geld hatte, brauchte nicht Stunde um Stunde im Warteraum sitzen, selbst wenn es galt, ein schwer verletztes Bein zu retten oder einen schlimmen Herzinfarkt zu behandeln.

In diesem Land bekam man für Geld alles, aber wehe, man hatte nicht ausreichend davon, dann wurde es sogar schwierig, eine einfache Grippe zu behandeln. Erst vor vier Monaten hatte Elias eine Packung Antibiotika für ein Kind aus eigener Tasche bezahlt, weil die Mutter nicht versichert gewesen war und ihren Sohn sonst vermutlich bald hätte beerdigen müssen. Gestorben an einer Lungenentzündung, für die es genügend Medikamente gab, sofern man sie sich leisten konnte.

Und nachdem das Krankenhaus beschlossen hatte, in naher Zukunft selbst in der Notaufnahme eine Zwei-Klassen-Medizin einzurichten, war Elias endgültig auf die Barrikaden gegangen und dafür entlassen worden. Aber egal. Das hatte es ihm nur leichter gemacht, seine bis dato schwammigen Pläne in Bezug auf eine eigene Praxis weiter voranzutreiben, obwohl die in den letzten Monaten durch Christophs Betrug und Sebastians rasch fortschreitenden Verfall in der Wichtigkeit wieder ziemlich weit nach hinten gerutscht waren.

»Nein, und das werde ich auch nicht, Dave. Ich weiß, dass ihr denkt, ich sollte dem Vorstand einen Denkzettel verpassen, aber ich werde mein Geld lieber in meine Praxis stecken.« Sein Blick schweifte zu Sebastian. »Doch das wird erst passieren ...« Wenn er tot ist. Elias sprach es nicht aus, aber Dave verstand ihn auch so.

»Ich weiß, Doc, ich weiß.« Dave hielt ihm die Teetasse vor die Nase und wartete geduldig, bis Elias sie ergriff. »Früchtetee mit Honig und einer Prise Zimt. Probieren Sie ihn und bringen Sie Sebastian dazu, etwas zu trinken, wenn er wieder aufwacht. Ich muss weitermachen. Rufen Sie mich, wenn er oder auch Sie noch etwas brauchen.«

»Danke, Dave.«

»Nicht dafür«, wehrte der Pfleger ab, lächelte ihm ein letztes Mal zu und ließ Sebastian und ihn allein.

Elias atmete tief durch, löste seine Hand aus den längst viel zu dünnen Fingern von Sebastian und schob diese danach unter die Bettdecke, damit sein Freund nicht noch mehr fror, als er es ohnehin bereits tat. Elias schmunzelte kurz, als ihm einfiel, dass Sebastian seit jeher eine kleine Frostbeule war. Schon in der Uni hatte er mehr als die meisten anderen gefroren, und auch wenn sie niemals in sexueller Art und Weise das Bett geteilt hatten, hatten sie oft genug gemeinsam in einem Bett geschlafen, weil Sebastian die Körperwärme geliebt hatte, die Elias – oder seine unzähligen Bettpartner, ob männlich oder weiblich war seinem Freund dabei immer egal gewesen – ausstrahlte.

Nach der Uni war das schwierig geworden, denn Elias war ein Beziehungsmensch, da hatte Sebastian recht, während sein Freund das Gegenteil davon war. Trotzdem hatten sie sich über Jahre eine Wohnung und manchmal sogar noch das Bett geteilt. Im Nachhinein gesehen war das aber auch kein Wunder, denn sie hatten beide leider beim Familienbingo die sprichwörtlichen Arschkarten gezogen, und wenn man sich auf die Familie nicht verlassen konnte, dann wenigstens auf den besten Freund.

Doch schließlich war Christoph in sein Leben getreten und Sebastian krank geworden – und vor allem letzteres hatte alles zwischen ihnen verändert.

Elias schnaubte abfällig, als er daran dachte, wie Sebastians Eltern auf die Diagnose reagiert hatten. Von seinem Bruder gar nicht zu reden. Dagegen war Christoph ein Lämmchen, und für ihn war es das Mindeste, dass sie Sebastian jetzt zumindest mit Geld unterstützten, wenn sie schon sonst nichts für ihn taten. Er war anfangs so verärgert gewesen. Wie konnten die Goldsmiths ihren eigenen Sohn sterben lassen, ohne ihn zu besuchen, ohne ihn zu unterstützen? Und das nur, weil er sich geweigert hatte, in die Politik zu gehen, wie es die Familie bereits seit so vielen Generationen tat? Lächerlich, fand er, denn Sebastian war ein verdammt guter Arzt gewesen, bis der Krebs ihn dazu zwang, seinen Beruf aufzugeben.

Aber für einen Goldsmith gab es nur die Politik. Sie hätten Sebastian vielleicht noch verziehen, dass er zu den Demokraten tendierte und nicht zu den Republikanern, wie sie es taten, aber dass er Arzt geworden war und gerne mit Männern schlief, war das letzte Tropfen in einem ohnehin bereits übervollen Fass für Sebastians Familie gewesen. Das Geld für seine Behandlung auf der Krebsstation kam schließlich auch nur, weil der Familie ihr Ruf viel zu wichtig war, als dass sie ihn gefährden wollten.

Elias zog eine Grimasse und sah Sebastian an. »Hoffentlich muss ich dir nie gestehen, dass ich sie angerufen und ihnen mit der Öffentlichkeit gedroht habe, damit sie das hier bezahlen.«

»Das weiß ich längst, Elias«, flüsterte Sebastian und öffnete überraschend die Augen, während Elias fassungslos nach Atem rang. »Nein, sag nichts«, wehrte sein Freund leise ab, als Elias sich entschuldigen wollte. »Ich weiß, dass du mir damit helfen wolltest und ich kenne sie lange genug. Sie bezahlen alles, was ich brauche, mehr will ich nicht. Ich will sie nicht sehen, ihnen nicht verzeihen, ich will nicht mal, dass sie meine Beerdigung organisieren, aber Gott sei Dank werde ich dann tot sein und es nicht miterleben müssen, wie sie meinen garantiert furchtbaren Tod für Wählerstimmen ausschlachten.« Sebastian grinste. »Ich habe einen Nachruf geschrieben. Dave wird ihn an einen alten Freund beim Boston Globe geben, der ihn in mehrere Zeitungen setzen lassen wird, sobald ich gestorben bin.«

»Hey!«, empörte sich Elias und musste doch lachen, als sein Freund ihm zuzwinkerte, denn ihm war klar, dass Sebastian es einfach nicht riskieren wollte, dass seine Eltern Elias beruflich später Steine in den Weg legten. »Keine Sorge, ich kann meine Hände problemlos in Unschuld waschen, wenn sie mich fragen, ob ich das war. Notfalls drohe ich ihnen mit einer Klage wegen Verleumdung. Aber glaub nicht, dass ich es mir nehmen lasse, einen Strauß pinker Rosen auf dein Grab zu legen.«

Sebastian kicherte albern, schob seine Hand unter der Decke hervor und streckte sie nach ihm aus. Elias ergriff seine Finger sofort. »Du bist mein bester Freund, Elias.«

»So wie du meiner bist, Bastian.«

»Ich werde dir trotzdem den Arsch versohlen, wenn du mir Endercott nicht bald vorstellst.«

Elias stöhnte resigniert.


Kapitel 2
Maximilian

»Sie haben ihn rausgeworfen, weil er ein guter Arzt ist?«

Maximilian schnaubte, als sein Vater Adrian nur eine Braue hob und dann ein Bein über das andere schlug, ehe er die Hand nach der Teetasse ausstreckte, die vor ihm auf dem Schreibtisch stand. Maximilian selbst bevorzugte Kaffee. Oder Kakao. Sofern der von seiner Mutter gemacht wurde, versteht sich. Mit Zimt und Marshmallows. Er sollte dringend mal wieder nach Hause fahren und sich bei seinen Eltern zum Essen einladen, um sich dabei eine von Emma Endercotts berühmten Tassen mit heißer Schokolade zu schnorren.

»Unglaublich. Er sollte die Klinik verklagen.«

»Was ihm, so weit ich es in Erfahrung bringen konnte, sogar der Anwalt der Klinik vorgeschlagen hat, aber er hat abgelehnt, und zwar mit den Worten, dass er nicht vorhat, weiter für einen verlogenen Verein zu arbeiten, für den Patienten nur Nummern und Dollarnoten darstellen. Der Vorstand war darüber ebenso wenig amüsiert, wie über die Tatsache, dass ich unsere jährliche Förderung mit sofortiger Wirkung zurückgestellt habe, weil ich es nicht einsehe, weiterhin ein Haus zu unterstützen, das arme Menschen nicht anständig behandelt.« Sein Vater grinste böse. »Ich habe ihnen den Vorschlag gemacht, ihr Vorgehen noch mal zu überdenken, denn dann wäre ich vielleicht auch dazu bereit, dasselbe in Bezug auf meine jährliche Förderung zu tun.«

Maximilian lachte leise. »Was du nicht tun wirst, oder?«

»Nicht mal im Traum, denn sie haben es ebenfalls nicht vor. Ich habe aber eine andere Klinik im Außenbezirk gefunden, die neben dem Normalbetrieb dreimal pro Woche Obdachlose und Veteranen kostenfrei behandelt. Mit dem sechsstelligen Scheck von uns können sie das jetzt auf viermal pro Woche ausbauen und die dafür nötigen Leute dafür einstellen. Sie haben sich mit einem riesigen Blumenstrauß dafür bedankt, Emma schnuppert jedes Mal an ihm, wenn sie in die Küche geht.«

»Gut gemacht, Dad«, murmelte Maximilian und warf einen weiteren Blick auf die Akte von Elias Parks, besonders auf das Foto, das ihr beilag.

Himmel, diese blauen Augen waren verdammt umwerfend. Dabei hatte er bislang eigentlich kein Faible für eine bestimmte Haar- oder Augenfarbe bei seinen Bettpartnern gehabt. Doch seit er das erste Mal Elias' Bild gesehen hatte, ging ihm das tiefe Blau von dessen Augen nicht mehr aus dem Kopf. Er träumte in den letzten Tagen sogar davon. Genauer gesagt, seit er mit dem Mann Kaffee getrunken und dessen Ex-Freund mit deutlichen Worten klar gemacht hatte, was ihm blühte, falls er nicht sofort einen Schlussstrich unter ihre beendete Beziehung zog und sich von Elias Parks fernhielt.

Wovon er Elias besser nichts erzählte, denn der Mann schien nicht zu der Sorte Mensch zu gehören, die eine derartige Hilfe zu schätzen wusste. Was irritierend war, fand Maximilian, weil er es gewohnt war, dass seine Hilfe gerne angenommen wurde. Wer fand es schon nicht gut, wenn ein Endercott freiwillig auf ihn zukam und seine Unterstützung anbot? Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass Elias sein Jobangebot annehmen würde, weil es verdammt gut war und Maximilian für einen guten Arzt sehr wohl bereit war, viel Geld zu investieren. Das zukünftige Zentrum war ihm wichtig und er wollte nur das Beste, sowohl an Ausstattung als auch an Mitarbeitern.

Kurz gesagt, er wollte Doktor Elias Parks.

Nur dachte der nicht im Traum daran, für ihn zu arbeiten, wie sonst ließ sich bitte erklären, dass er seit einer Woche jeden seiner Anrufe ignorierte. Er rief auch nicht zurück. Maximilian war sich nicht mal sicher, ob Elias Parks seine Nachrichten auf dem AB überhaupt abhörte.

Das heitere Lachen seines Vaters ließ ihn aufsehen. »Deinem finsteren Blick nach zu urteilen, ignoriert er dich immer noch?«

Maximilian stöhnte genervt. »Ja. Ich brauche seine Zusage, um zu planen und die Praxis für ihn einrichten zu können, aber er ruft mich nicht mal zurück. Ich könnte es verstehen, wenn er noch seinen Job und deswegen viel zu tun hätte, aber entweder ignoriert er mich mit Absicht oder er ist ausgewandert. Ich war dreimal bei ihm zu Hause, er hat nicht geöffnet.«

Sein Vater zwinkerte ihm zu. »Dann wirst du wohl noch ein viertes oder fünftes Mal an seiner Tür klingeln müssen, Junge.« Adrian runzelte die Stirn. »Von seiner Zusage hängt einiges ab. Wie sollen wir wissen, was ein Arzt für eine Praxis so braucht, wenn wir keinen haben?«

Diese Frage stellte Maximilian sich auch und obwohl man in solchen Dingen durchaus recherchieren konnte, wollte er keine Praxis planen und einrichten, ohne vorher die Zusage von Elias zu haben, dass der für ihn als Arzt arbeitete. Mediziner konnten ein eigenwilliges Völkchen sein und wenn er schon einen hohen Scheck für eine Praxiseinrichtung ausstellte, sollte Doktor Parks selbigen vorher absegnen, um sicherzustellen, dass sie wirklich alles hatten, sobald die ersten Kinder das Haus bezogen.

»Ich könnte vor seinem Haus campieren«, schlug er vor und musste darüber lachen, denn Camping war nun wirklich nichts, das auf seiner Wunschliste zum Thema Freizeitgestaltung weit oben stand. Aber wenn er Elias anders nicht erwischte, würde er es vielleicht in Betracht ziehen. »Wahrscheinlich tippt er sich dann gegen die Stirn und erklärt mir, ich soll mit dem Unsinn aufhören.«

Sein Vater gluckste. »Du magst ihn.«

»Er ist stur und eigensinnig.«

»Wie deine Mutter. Ich habe sie trotzdem geheiratet.«

Obwohl Maximilian lächeln musste, wusste er gleichzeitig, dass er jetzt besser schnell das Thema wechselte, ehe sein Vater sich darauf einschoss. »Was eine verdammt gute Entscheidung von dir war, immerhin gäbe es mich sonst nicht. Zurück zu dem sturen Arzt, den wir brauchen werden, denn das Jugendamt hat Anfang der Woche durchblicken lassen, dass sie bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten, um Kinder und Teeanger dauerhaft von der Straße zu holen, aber das tun sie nur, wenn wir ein paar Regeln befolgen.« Sein Vater stöhnte auf und Maximilian lachte leise. »Ja, das war auch meine erste Reaktion, aber sie haben in gewissen Bereichen recht, also werden wir einen Kompromiss eingehen müssen und im Haus pro Etage ein kleines Apartment einrichten. Für die Sozialarbeiter, die wir anstellen und die Tag und Nacht im Haus sein werden. Wir können keine Kinder von der Straße holen und sie dann sich selbst überlassen, Dad.«

»Guter Einwand«, stimmte sein Vater zu und trank einen Schluck Tee, bevor er weitersprach. »Das bedeutet jedoch auch, dass wir einen Psychologen brauchen werden. Und Lehrer für alle Altersklassen.«

»Jemanden, der eine Küche führen und kochen kann, sowie Reinigungskräfte für das große Ganze«, führte Maximilian aus, denn die Liste für die geplanten Stellenausschreibungen wurde immer länger. »Ihre Zimmer können die Kids ruhig persönlich sauber halten, wir sind schließlich kein 5-Sterne-Hotel, aber das Haus ist einfach zu groß, um ihnen auch den Rest der Räume aufzubürden. Außerdem werden sie genug mit ihrem Leben zu tun haben, denn von der Straße zurück in einen einigermaßen geregelten Alltag zu wechseln, dürfte nicht einfach sein. Ach ja, und wir brauchen einen erfahrenen Dschungelkrieger, um aus dem Garten wieder einen Garten zu machen.«

Adrian lachte. »Ein wahreres Wort ward nie gesprochen. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass die Schlingpflanzen hinter dem Haus später unsere Kids auffressen.«

Maximilian stimmte in das Lachen mit ein. »Wie wahr. Den Job überlasse ich übrigens dir.«

»Wieso mir?«, wunderte sich Adrian.

»Weil ich keine Zeit habe, uns auch noch einen Gärtner zu suchen und du hast einen, der sich um euren Garten kümmert. Frag ihn, ob er sich zutraut, den Garten vom Zentrum in Schuss zu bringen. Ich muss mich jetzt erst mal mit den Fensterbauern absprechen, denn wir sind uns einig geworden, nur die Fenster zu tauschen, die wirklich getauscht werden müssen. Der Rest wird erst mal neu abgedichtet und, wo es nötig ist, restauriert.« Maximilian sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Ich muss gleich los. Ich habe in zwei Stunden einen Gerichtstermin und will vorher noch einmal bei Elias Parks vorbeifahren. Vielleicht erwische ich ihn.«

Adrian nickte. »Guter Plan. Sei hartnäckig. Und falls du ihn wieder nicht erreichst … Möglicherweise ist er für ein paar Tage in Urlaub gefahren. Verdient hätte er es sich allemal.«

Dem war nicht zu widersprechen, denn in Elias' Akte stand schwarz auf weiß, dass der sich in den letzten Jahren praktisch den Arsch wund gearbeitet und fast nie Urlaub oder freie Tage gehabt hatte. Wobei Maximilian sich durchaus schönere Dinge vorzustellen wusste, die er mit dem Hintern dieses Mannes tun könnte, aber das gehörte nicht hierher und er würde sich nicht die Blöße geben, seinem Vater zu verraten, dass er Elias Parks nicht nur auf beruflicher Ebene interessant fand, denn das wäre für Adrian Endercott der Startschuss, auf den er schon so viele Jahre wartete. Immerhin war er, also Maximilian, bereits Mitte Dreißig und damit alt genug, um einen Ehemann zu finden und eine Familie zu gründen.

»Er wird den Vertrag unterschreiben, verlass dich drauf.«

Sein Vater nickte zufrieden. »Gut, aber bevor du dein Zelt in seinem Hauseingang aufbaust … Was gibt es sonst noch Neues aus unserer mit tausend Spinnen verseuchten Bruchbude?«

Maximilian lachte. »Unsere Vorfahren würden sich entrüstet im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, wie schändlich du über ihr Schloss redest. Dabei sollten wir ihnen huldigen, dass sie damals dachten, ein Haus zu bauen wäre langweilig, das könne schließlich jeder, und sich stattdessen eine halbe Insel gekauft haben, um dann besagtes Schloss zu bauen.«

»Halbe Insel, pah!« Adrian winkte grinsend ab. »Ich frage mich heute noch, was sie sich dabei gedacht haben, denn zum Bewohnen war das Ding von Anfang an nicht wirklich geeignet. Zu groß, zu zugig und die Unterhaltskosten verschlingen eine mittlere sechsstellige Summe im Jahr. Nicht, dass uns das in die Pleite treibt, aber es wäre schön, endlich ein bisschen Leben ins Haus zu kriegen und vor allem, es technisch auf den neuesten Stand setzen zu lassen. Was sollen wir mit einem riesigen Haus plus Grundstück, wenn wir es verfallen lassen? Also?«

Maximilian grinste und lehnte sich dabei auf seinem Stuhl zurück. »Der Sachverständige hat bestätigt, was wir ja bereits wussten, die Bausubstanz ist vollkommen in Ordnung. Bei der massiven Steinbauweise hätte mich etwas anderes auch stark gewundert. Egal. Ich habe fünf Elektriker kontaktiert und um Vorschläge und Meinungen gebeten, mit der Prämisse, dass die Kosten keinerlei Rolle spielen, solange sie nicht versuchen, uns übers Ohr zu hauen, weil ich sie dann umgehend und bis zum Sanktnimmerleinstag verklagen werde. Zwei haben sich danach nicht mehr gemeldet, zwei weitere haben offen zugegeben, dass sie nicht genug Leute für so einen Großauftrag haben.«

»Und Nummer fünf?«, fragte Adrian neugierig.

»Nummer fünf hat sich erst vor zwei Jahren selbstständig gemacht und kennt rein zufällig einen Klempner, der, wenn wir wollen, die Bäder und Küche, sprich, sämtliche Sanitäranlagen übernehmen würde. Es ist ein Familienbetrieb zweier Brüder, für die ein Auftrag von uns ein Sechser im Lotto wäre. Das hat er auch offen zugegeben und mir einen Rabatt beziehungsweise ein Rücktrittsrecht vom Vertrag angeboten, damit ich mich von seiner guten Arbeit überzeugen kann. Im Gegenzug drohte er dann mir, mich zu verklagen, wenn ich wage ihn schuften zu lassen, nur um dann das Rücktrittsrecht zu nutzen.«

Sein Vater lachte. »Der Mann gefällt mir.«

Oh ja, Maximilian hatte er auch gefallen. Und zwar so gut, dass er bereits ein paar detailliertere Hintergrundinformationen zu den Brüdern zusammentragen ließ. Aber eigentlich hatte er sich längst entschieden, die Männer zu engagieren, was Adrian mit Sicherheit gefallen würde, denn sein Vater liebte es, kleine oder größere Familienbetriebe zu unterstützen und ein Auftrag wie dieser konnte einer Firma einen großen Schubs nach vorne bescheren, immerhin waren sie die Endercotts. Dass Adrian den Gedanken teilte, verriet dessen darauffolgendes Grinsen, bevor er nachdenklich die Lippen schürzte.

»Was hältst du von ihnen?«, fragte Adrian.

»Ich sage, wir engagieren sie. Sie mögen recht neu sein, aber wenn wir es richtig anstellen und ich mich nicht völlig in ihnen getäuscht habe, wären sie bereit für einen langfristigen Vertrag mit uns, und das erspart uns in Zukunft die Suche nach guten Handwerkern, falls, nein wenn, mal etwas kaputt geht.« Adrian wiegte überlegend den Kopf und Maximilian verkniff sich ein Grinsen, denn er wusste genau, wie er seinen Vater überzeugen konnte. »Ich werde ihnen einen Vertrag mit einer unbegrenzter Laufzeit anbieten, wenn sie dazu bereit sind, uns dauerhaft 10% Rabatt auf die Arbeitszeit einzuräumen.«

»Materialkosten?«

Maximilian schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind zu jung am Markt und haben auf solche Kosten keinen Einfluss. Ich will sie langfristig an uns binden und nicht ruinieren.«

»Guter Einwand«, murmelte Adrian nickend.

»Ich habe so meine Momente«, konterte er trocken und sein Vater warf ihm ein freches Grinsen zu. »Was?«

»Es scheint mir, dass deine Momente bei Elias Parks bislang komplett im Sande verlaufen.«

Maximilian stöhnte resigniert. »Dad ...«

Adrian kicherte heiter. »Du magst ihn wirklich.«

»Dad!«

»Lass das Private außen vor, bis er unterschrieben hat. Dann mach, was du willst, das tust du sowieso. Aber ich erwarte, ihm vorgestellt zu werden, bevor du ihn heiratest.«

Himmel noch mal, sein Vater war unmöglich und er würde nicht aufgeben, wenn Maximilian dem Ganzen nicht umgehend einen Riegel vorschob, daher erhob er sich nach einem weiteren Blick auf die Uhr. »Ich fahre jetzt. Und ich werde heute Abend Mom anrufen und mich über dich beschweren.«

»Komm am besten zum Abendessen, dann sparst du dir die Anrufkosten«, hielt sein Vater ungerührt dagegen und lachte immer noch, als Maximilian sein Büro in ihrer Kanzlei bereits hinter sich gelassen hatte und in den Fahrstuhl gestiegen war.

***

Drei Stunden später gewann er frustriert und genervt seinen Fall vor Gericht, obwohl er mit den Gedanken die meiste Zeit ganz woanders war, denn natürlich hatte Elias Parks ihm nicht die Tür geöffnet. Wo steckte der Mann bloß seit Tagen? Das war ja nicht zum Aushalten. Vielleicht sollte er es wirklich später am Abend versuchen, statt zu der Zeit, als er ihn das erste Mal vor dem Haus angetroffen hatte. Irgendwann musste Elias doch zu Hause anzutreffen sein, denn laut der Akte, die er sich über den Mann hatte zusammenstellen lassen, hatte der neben der Arbeit kein Privatleben gehabt.

Mal abgesehen von seinem betrügerischen Ex-Freund, doch den war er ja nun los. Wo also trieb Elias Parks sich den ganzen Tag über herum? Im Fitnessstudio vielleicht? Nein, das hätte in der Akte gestanden, sie beschäftigten in der Kanzlei nicht ohne Grund mehrere Privatdetektive, um sich von Klienten ein Bild zu machen, bevor sie entschieden, diese zu verteidigen. Und die drei Männer, die für sie arbeiteten, waren die besten der Stadt, darauf hatte sein Vater geachtet, als er sie engagierte.

Adrian Endercott überließ nichts dem Zufall, weder privat noch beruflich, aber vor allem nicht beruflich, denn sie hatten einen Ruf zu wahren und das schaffte man nun mal nicht, wenn man sich mit unfähigen, nicht vertrauenswürdigen Mitarbeitern umgab. Ein Kredo, das sein Vater ihm schon lange, bevor er in die Kanzlei eingestiegen war, eingeschärft hatte, da Maximilian fast zwei Jahre überlegt hatte, ob er tatsächlich langfristig mit seinem Vater zusammenarbeiten wollte oder nicht.

Am Ende hatte seine Mutter den Ausschlag gegeben, denn warum sollte er den sehr guten Ruf der Familie nicht für seine eigene Karriere nutzen?

Heute war Maximilian heilfroh darüber, den Schritt gewagt zu haben, und er hoffte, dass er ihre Kanzlei in ferner Zukunft an seinen eigenen Sohn oder seine Tochter weitergeben konnte, denn für ihn stand seit Jahren fest, dass er eines Tages Kinder wollte. Dass das mit den derzeitigen Gesetzen fast unmöglich war – geschenkt. Er war erst fünfunddreißig Jahre alt und hatte noch viel Zeit, um sich zu verlieben, den Mann seiner Träume zu heiraten und darauf zu hoffen, dass die stetig anwachsende Schwulenbewegung eines Tages eine Änderung der aktuellen Gesetze erreichte, sodass Hochzeit und Kinder auch problemlos möglich waren. Doch das war Zukunftsmusik und im Moment beherrschte AIDS immer noch in großen Lettern die täglichen Schlagzeilen.

Maximilian war Gott sei Dank nie so verrückt gewesen, bei Sex auf einen entsprechenden Schutz zu verzichten, noch etwas, das seine Eltern ihm schon eingebläut hatten, ehe er überhaupt angefangen hatte, ernsthaft darüber nachzudenken, sich ihnen gegenüber als homosexuell zu outen. Wobei er das problemlos früher hätte tun können, denn sein Vater hatte danach nur die Schultern gezuckt und ihm erklärt, dass Liebe nun mal hinfiel, wo sie eben hinfiel, während seine Mutter geschmunzelt und ihm am selben Abend gesagt hatte, dass sie sich so etwas schon gedacht hätte, weil er erstens allein auf den Schulball gegangen war und sich immer lieber mit Mädchen unterhalten hatte, statt ihnen auf den Busen oder den Hintern zu starren.

Er erinnerte sich noch gut daran, wie er nach ihren Worten vor Verlegenheit knallrot geworden war, aber danach war sein Outing für sie erledigt gewesen und Maximilian hatte sich auch immer sicher genug gefühlt, ihnen Freunde und Liebhaber bei einem Abendessen vorzustellen. Wovon es so einige gegeben hatte, doch in den letzten Jahren war ihm immer deutlicher bewusst geworden, dass er mehr wollte.

One-Night-Stands waren gut und schön, um den Druck für eine Weile abzubauen und schnelle Befriedigung zu finden, nur reichte Maximilian das längst nicht mehr. Er wollte mehr, zum Beispiel das, was Elias Parks mehrere Jahre gehabt hatte, bis der Kerl sich als Arschloch entpuppt hatte. Nun, das würde Elias mit ihm nicht passieren, denn auch wenn Maximilian die Kerle in den vergangenen Jahren so oft gewechselt hatte, wie andere ihre Hemden, hatte er niemals betrogen und würde es auch nie tun. Er hatte von seinen Eltern gelernt, dass Ehrlichkeit mit das Wichtigste in einer Beziehung war und darum war er fest dazu entschlossen, auch immer ehrlich zu sein, sobald er jemanden fand, mit dem er sich eine Beziehung vorstellen könnte.

Jemand mit blauen Augen zum Beispiel.

Verflixt, dachte Maximilian und verdrehte die Augen, als er in seinen Lexus stieg, um in sein Apartment zu fahren, das nach den neuesten Designs eingerichtet war, und auch wenn er sich dort wohl fühlte, ein Zuhause, wie seine Eltern es hatten, war es nicht. Dazu fehlte ihm die Familie, die er gründen wollte, und um das zu tun, brauchte er nun einmal einen Partner. Was das betraf, war Maximilian ziemlich altmodisch, denn er wollte auf jeden Fall verheiratet sein und mit seinem Mann auch ein Haus gekauft haben, ehe sie über Kinder und vielleicht ein Haustier nachdachten.

Mitten auf dem Rückweg überlegte Maximilian es sich dann spontan anders und bog ab, um erneut zu Elias Parks zu fahren. Wenn er ihn wieder nicht zu Hause antraf, würde er weiter zu seinen Eltern fahren und das Angebot zu einem gemeinsamen Abendessen von Adrian annehmen. Außerdem musste er sich sowieso noch bei seiner Mutter über seinen Vater beschweren, was bedeutete, er würde bei einem Blumenladen anhalten und ihr einen Strauß mitbringen, weil seine Mutter sich immer über frische Blumen freute.

»Das gibt’s ja nicht«, murmelte er zwanzig Minuten später, denn Elias Parks war tatsächlich gerade auf dem Weg ins Haus und Maximilian beeilte sich zu parken und auszusteigen. Noch während er seinen Wagen verriegelte rief er amüsiert: »Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, Doktor Parks.« über die Straße, aber das Grinsen auf seinen Lippen verging ihm, als der Mann sich zu ihm umdrehte und Maximilian verquollene Augen und ein von unzähligen Tränen gerötetes Gesicht präsentierte. Er war so schnell über die Straße geeilt und bei Elias angelangt, dass der erschrocken zusammenzuckte, aber Maximilian ignorierte Elias' Reaktion und sah ihn ernst an. »Was ist passiert?«

»Nichts.«

Von wegen. Maximilian betrachtete den Arzt vom Kopf bis hinunter zu dessen Füßen, die in alt aussehenden, abgewetzten Winterstiefeln steckten. »Dann sähen Sie nicht aus, als hätten sie stundenlang geweint. Ich kann nirgendwo Blut sehen, aber das heißt ja nicht viel. Brauchen Sie einen Arzt? Soll ich Sie ins nächste Krankenhaus fahren?«

Elias lachte und klang dabei leicht hysterisch. »Ich bin Arzt und was nützt es ihm? Gar nichts. Er wird trotzdem sterben.«

Okay, irgendetwas entging ihm hier gerade und es hatte mit einer Person zu tun, über die nichts in Elias' Akte gestanden hatte, das hätte er sich gemerkt. Allerdings war das im Grunde auch egal, denn er würde den Mann jetzt auf keinen Fall alleine lassen, so nervlich am Ende, wie der augenscheinlich war. Was auch immer in Elias Parks vorging, er brauchte Hilfe, obwohl er das vermutlich niemals freiwillig zugeben würde. Wie gut, dass Maximilian das gleichgültig war und er Elias notfalls auch an den Haaren in dessen Wohnung zerren würde.

»Okay, wo ist Ihr Wohnungsschlüssel?«

Elias blinzelte ihn ratlos an. »Was? … Hey!«, schimpfte er im nächsten Moment los, als Maximilian einfach anfing, danach in seinen Jackentaschen zu suchen. »Ich sollte Sie gleich morgen wegen Belästigung verklagen!«, murrte er und trat einen Schritt zurück, als Maximilian mit einem triumphierenden »Ha! Da ist er ja.« den Schlüssel zutage förderte. »Sie sind ein Idiot.«

Maximilian grinste. »Danke. Und keine Sorge, sollte ich Sie jemals belästigen, dann merken Sie das, versprochen.«

»Ist das jetzt eine Drohung oder eine Ankündigung?«

»Das werden Sie schon noch herausfinden«, konterte er mit einem Feixen und trat an Elias vorbei, um nach dem richtigen Schlüssel für die Haustür zu suchen. Als er ihn gefunden hatte, hielt er dem immer noch empört dastehenden Mann galant die Haustür auf. »Bitteschön.«

»Sie sind immer noch ein Idiot«, wurde er beleidigt, doch da ihm das weitaus besser gefiel als die Tränen zuvor, gönnte sich Maximilian nur ein Lachen, bevor er Elias ins Haus folgte.

Dessen Apartment war schnell gefunden und ordentlicher, als er es bei jemandem, der im Schichtsystem arbeitete, erwartet hätte. Maximilian nickte, als Elias auf das Schuhregal und einen Garderobenständer deutete, denn als Gast war es das Mindeste, keinen Dreck in die Wohnung zu schleppen. Vor allem keinen nassen, klebrigen Schnee, der draußen immer noch in Massen herumlag, weil der Winterdienst es einfach nicht mehr schaffte, die Straßen und Wege freizuräumen.

Als er seinen Mantel aufhing, fiel ihm der blinkende AB auf. Dreizehn ungehörte Nachrichten. Maximilian schürzte ertappt die Lippen, weil selbst ihm die Zahl etwas übertrieben vorkam. Ja, er hatte Elias oft angerufen, aber gleich dreizehn Mal?

»Ich schätze mal, die sind alle von Ihnen.«

»Möglicherweise«, gab Maximilian zu und es musste Elias wirklich schlecht gehen, wenn seine einzige Reaktion darauf ein müdes Lächeln war. Maximilian griff nach Elias' Winterjacke, hing sie neben seinem Mantel und schob den Mann dann durch den Flur, bis er die Küche entdeckte.

»Was soll das werden?«

»Ich mache Ihnen etwas Warmes zu trinken und zu essen und davor können Sie, wenn Sie wollen, kurz duschen. Danach werde ich so lange mit Ihnen streiten, bis Sie in Ihr Bett gehen, denn so wie Sie im Moment aussehen, waren Sie dort seit Tagen nicht mehr.« Maximilian ließ Elias am Türrahmen stehen und begann, sich durch dessen Küchenschränke zu suchen. »Ah, ein Topf. Sehr schön. Nudeln wären nett.«

»Im Schrank links unter der Spüle.«

Maximilian sah nach und fand eine angefangene Packung Spaghetti. »Perfekt. Nudelsoße?«

»Habe ich nicht hier.«

»Dann Ketschup und Käse?«

»Kühlschrank.«

»Milch und Kakao?«, fragte er weiter.

»Kühlschrank. Gleicher Schrank wie die Nudeln, aber eine Etage tiefer.«

Maximilian machte sich an die Arbeit, ohne Elias weiter zu beachten, und als die Nudeln schließlich kochten, grinste er mit sich zufrieden, denn das Klappen einer Tür im Flur war ebenso wenig zu überhören, wie die Dusche, die wenig später anging. Er würde Elias zehn Minuten geben, bis dahin konnte er in aller Ruhe den Kakao machen und sich danach um ein Abendessen kümmern, dass jeden Gourmetgaumen entsetzt hätte, aber ihm hatte es in der Uni oft gute Dienste geleistet, denn Nudeln mit Käse und Ketschup war schnell zu kochen, machte satt und war billig. Auch wenn er während des Studiums nie Geldprobleme gehabt hatte, im Gegenteil, hatte Maximilian nicht eingesehen, ständig ein Vermögen für Lebensmittel auszugeben, während einige seiner Mitkommilitonen nur mit Mühe die Gebühren für das jeweilige Semester aufbringen konnten.

Willis zum Beispiel, mit dem er sich für ein paar Monate das Zimmer im Studentenwohnheim geteilt hatte, bis seine Eltern nach einem unschönen Vorfall – weil er ein Endercott war – auf einem eigenen Apartment bestanden hatten. Willis war schlau, wortgewandt und ein hübscher Kerl gewesen, was dazu geführt hatte, dass sie sich für ein paar Nächte nicht nur das Zimmer an sich, sondern auch das Bett geteilt hatten. Aber Willis hatte von Anfang an nicht mit Geld umgehen können und war deswegen schließlich von der Uni geflogen. Wer sein Studiengeld lieber in Casinos und für Alkohol ausgab, der konnte kaum erwarten, als Anwalt eines Tages erfolgreich zu werden.

Am Ende hatte Maximilian seinen Abschluss gemacht und Willis seinen Wagen mit über 150 Meilen auf dem Tacho gegen eine Brückenmauer gesteuert. Alles am selben Tag, auch wenn Maximilian das erst eine Woche später herausfand.

»Worüber denken Sie nach?«, fragte Elias auf einmal hinter ihm und Maximilian zuckte ertappt zusammen. Gerade noch rechtzeitig, um ein Überkochen der Milch zu verhindern. Glück gehabt. Er gab Kakao in den Topf und schaute dann kurz über seine Schulter.

»Wow, jetzt sehen Sie wieder lebendig aus.«

»Immer noch ein Idiot«, grollte Elias, doch das Grinsen, das an seinen Mundwinkeln zupfte, sah Maximilian sehr wohl und es ließ ihn heiter glucksen, während er sich wieder dem Herd zuwandte, denn die Nudeln müssten fertig sein und der Kakao brauchte nur noch in Tassen gegossen zu werden.

»Wo haben Sie …? Danke.«

Maximilian lächelte Elias zu, als der zwei Tassen neben ihn stellte und sich danach an den schmalen Tresen setzte, der statt eines Esstisches in der Küche stand. Alles hier war funktional und für eine bis zwei Personen völlig ausreichend, aber es gab definitiv nicht viel Platz. Andererseits war das hier nun mal ein Apartment und kein Haus, so wie es seine Eltern besaßen, und Maximilian hatte früher auch schon beengter gelebt, bevor er in sein jetziges Apartment eingezogen war.

Elias betrachtete ihn nachdenklich, als Maximilian ihm eine Tasse Kakao brachte, doch er schwieg und wartete, bis sie kurze Zeit später mit Kakao und je einem Teller Nudeln mit Ketschup und Käse vor sich nebeneinander am Tresen saßen. Und da fiel Maximilian wieder ein, dass er Elias immer noch eine Antwort schuldig war.

»Ich habe mich an einen Freund von der Uni erinnert«, sagte er und wickelte ein paar Spaghetti um seine Gabel. »Willis. Wir haben uns eine Zeit lang ein Zimmer geteilt. Er war ein cleverer Kerl, er konnte nur nie mit Geld umgehen. Am Ende haben sie ihn deshalb von der Uni geworfen.«

»Was ist aus ihm geworfen?«, fragte Elias und nahm erst die Gabel, als Maximilian ihn auffordernd ansah. »Ich habe keinen großen Hunger.«

»Ein kleiner tut es auch. Sie müssen etwas essen, Doc.« Das brachte ihm einen finsteren Blick ein, aber Elias aß danach eine Gabel voll und Maximilian war zufrieden. »Was Willis angeht, er hat sich das Leben genommen. An genau jenem Tag, an dem ich meinen Abschluss machte.«

»Scheiße«, keuchte Elias schockiert und Maximilian nickte, denn das traf es ziemlich gut.

Die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend und dass Elias' Teller und Tasse am Ende leer waren, wertete Maximilian als gutes Zeichen. Sie teilten sich den Abwasch und auch dabei schweigen sie, was seltsam, aber auch angenehm war. Mit Elias konnte man offensichtlich wunderbar schweigen und dass der Mann von ihm als Person und von seinem Namen so gar nicht beeindruckt war, fand Maximilian eigentlich ganz angenehm.

»Sebastian«, sagte Elias irgendwann, während er gerade die Gabeln abtrocknete. »Er ist mein bester Freund. Sagt Ihnen der Name Charlton Goldsmith etwas?«

Maximilian nickte. »Ja, sicher. Der Republikaner … Moment mal, Sebastian Goldsmith, natürlich. Der jüngere Sohn, der nie ein Interesse an Politik hatte. Wenn ich mich richtig erinnere, ist er Arzt geworden, oder?«

Elias nickte, als sich ihre Blicke trafen. »Er praktiziert nicht mehr. Lungenkrebs. Endstadium. Er hat noch vier bis maximal sechs Wochen.«

Das erklärte Elias' Worte von vorhin und vor allem auch den Zustand, in dem er gewesen war, als Maximilian ihn vor dem Haus angetroffen hatte. Er seufzte leise. »Das tut mir so leid für Sie, Elias.«

»Ich dachte, ich würde mich irgendwann daran gewöhnen, aber das passiert nicht, oder?«

Maximilian war nicht sicher, ob diese Frage an ihn gerichtet war oder ob Elias eher zu sich selbst sprach, aber er entschloss sich, einfach eine Antwort zu geben, ob gewünscht oder nicht. »Ich war noch sehr klein, als mein Großvater starb. Ich erinnere mich kaum noch an ihn, aber ich erinnere mich noch gut an den Tag, als meine Eltern mir davon erzählten, weil er einfach nicht mehr da war. Ich hatte nicht gewusst, dass er krank war, weil es kaum möglich ist, einem 4-Jährigen kindgerecht zu sagen, dass der eigene Großvater bald sterben wird. Und dann war er eines Tages einfach nicht mehr da. Das hat mir den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen weggezogen und es dauerte lange, bis ich aufhörte, meine Eltern zu fragen, ob sie gesund sind. Daher glaube ich, dass die Antwort auf Ihre Frage Nein lautet. Wenn man jemanden verliert, der einem viel bedeutet, daran gewöhnt man sich niemals. Und ich vermute, wenn man auch noch dabei zusehen kann, wie derjenige einem entgleitet, wie das bei Ihrem Freund Sebastian der Fall ist, ist das Ganze noch mal um so viel schlimmer, als wenn die Person eines Tages völlig überraschend nicht mehr da ist.«

Elias nickte leicht und griff nach dem ersten Teller. »Danke … Dass Sie so eine Nervensäge sind.«

Maximilian lächelte vorsichtig, da das, was er jetzt vorhatte, nicht ganz ohne Risiko war, aber hoffentlich würde Elias Parks sich überreden lassen, mit ihm zu kommen, denn dieser Mann brauchte dringend weitere Ablenkung und Maximilian kannte den perfekten Ort dafür.

»Und ich werde gleich noch um einiges nerviger, denn ich glaube, Sie sind wieder wach genug, um mit mir zu fahren. An Ihren neuen Arbeitsplatz.«

Elias starrte ihn für einen Augenblick mit offenem Mund an, dann lachte er überraschend und tippte sich dabei vielsagend gegen die Stirn. »Ich sollte Ihnen dafür meinen Teller über den sturen Schädel ziehen.«

»Also bitte, keine Gewalt«, wehrte Maximilian amüsiert ab und reichte Elias den zweiten Teller. »Und außerdem, was kann denn der arme Teller dafür?«

»Sie sind ...«

»Ein Idiot, ich weiß.« Jetzt grinste Maximilian offen. »Also? Kommen Sie mit? Ich will Ihnen das Zentrum zeigen, denn ich wette mit Ihnen, Sie unterschreiben den Vertrag sofort, wenn sie es erst mal gesehen haben.«

Elias überlegte. Und zwar minutenlang, während er weiter das Geschirr abtrocknete und ihm dabei immer wieder finstere Blicke zuwarf, die Maximilian gut nachvollziehen konnte, denn er war im Moment anmaßend, überheblich und wahrscheinlich noch so einiges mehr, aber noch hatte der heiße Kerl neben ihm nicht Nein gesagt und ihn mit einem harten Tritt in den frechen Hintern aus der Tür hinausbefördert, also bestand erstens eine reelle Chance, dass er sich darauf einließ, heute Abend noch für ein, zwei Stunden entführt zu werden, und dass er es zweitens gar nicht so übel fand, wenn er, also Maximilian, arrogant und anmaßend war.

»Also gut«, erklärte Elias ihm schließlich, als auch die letzte Tasse wieder sauber im Schrank stand. »Ich komme mit. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich unterschreibe. Dafür müssen Sie mir schon bedeutend mehr bieten als Angebereien und diesen schicken Anzug von Zegna.«

»Ah, ein Mann, der sich auskennt. Dad wird begeistert sein, was für einen tollen Fang ich ihm demnächst als unseren Arzt für das Zentrum präsentieren kann.«

»Mister Endercott«, begann Elias entrüstet, doch Maximilian ließ ihn nicht ausreden.

»Sagen Sie Maximilian.«

»Nicht im Traum.«

Ob der Mann wusste, welche Steilvorlage er ihm in diesem Moment gegeben hatte? Wahrscheinlich nicht, aber Maximilian war ein höflicher Mensch, also würde er sie natürlich sofort mit ihm teilen. »Oh, Sie träumen schon von mir?«

Elias stöhnte resigniert und Maximilian begann zu lachen.